Staatsschulden in Kriegszeiten
Der Pandemieeinbruch von Beschäftigung und Output ist keine herkömmliche
Rezession. Die erforderliche politische Reaktion sind keine üblichen
Konjunkturmaßnahmen. Wir haben es stattdessen mit einer Naturkatastrophe statt
einer normalen Rezession zu tun. Die angemessene politische Reaktion ist wie
nach den Verheerungen großer Kriege Soforthilfe und dann Wiederaufbau[1].
Doch etliche Ökonomen hängen in ihrer Modellfalle, die Coronamassnahmen in
herkömmlichen Konjunkturbegriffen zu bewerten.
Zwei prominente Ökonomen, Larry Summers und Olivier Blanchard, haben eine
Kampagne gegen das 1,9 Billionen Dollar schwere Hilfspaket des neuen
amerikanischen Präsidenten Joe Biden angezettelt[2].
Beide stützen sich dabei auf konventionelle Konjunkturkonzepte (Output-Lücke;
nachfragebedingte Inflation). Beider Voten haben überrascht[3].
Gerald Braunberger, Herausgeber der FAZ, äußerte in einem Leitartikel: „Summers
und Blanchard haben eine alte Weisheit verinnerlicht, die, wie die Reaktionen
über das Wochenende zeigen, den zahlreichen Nachbetern,
Nachtretern und verblendeten Ideologen unter den Ökonomen ihr Leben lang
unverständlich bleibt: Man kann des Guten auch zu viel tun.“[4]
Starker Tobak. Aber damit nicht genug: „Eine überdimensionierte Finanzpolitik
kann, wenn die Leute nach der Pandemie wieder mehr Geld ausgeben, schnell zu höheren Teuerungsraten
führen. Das gilt auch für Deutschland.“
Den Beitrag des einzigen Nobelpreisträgers zur aktuellen Stimulusdebatte
wollte der FAZ-Herausgebern seiner Leserschaft wohl nicht zumuten. Paul Krugman
hatte früh darauf hingewiesen, dass das Jahrhundert-Virus uns nicht eine
herkömmliche – nachfragebedingte - Rezession – beschert hat. Stattdessen leiden
wir unter einer Teilschließung, die das Ergebnis sowohl der öffentlichen Restriktionen
als auch privater Entscheidungen ist. Aktivitäten mit hohem Infektionsrisiko
wurden stark eingeschränkt. Eine Ankurbelung der Gesamtausgaben durch die
Fiskal- und Geldpolitik würde die Gäste nicht zurück in die Restaurants locken.
Bei der Pandemie und ihren Folgen auf Produktion und Beschäftigung handelt es
sich also nicht um makroökonomische Nachfragedefizite, die durch Stimulierung
geschlossen werden sollten.
Wir sind im Krieg mit dem
Coronavirus. Macron sagte das, und es
ist keine Übertreibung. Kriege sind destruktiv, Kriege sind disruptiv. In
solchen Zeiten taugen weder makroökonomische Konzepte wie ´Outputlücken´ noch ´inflationsneutrale
Arbeitslosenquote´. Der Output-Gap-versus-Stimulus-Rahmen trifft auf die
aktuelle Krise wirklich nicht zu, und der Missbrauch dieses Rahmens kann schwer
in die Irre führen.
Kriege, Krisen und
Pandemien katapultieren traditionell die Staatsverschuldung in die Höhe. Der
Erste Weltkrieg, die Weltwirtschaftskrise und der Zweite Weltkrieg schufen schufen
im 20. Jahrhundert neue Ansprüche an die öffentlichen Ausgaben. Zusammen
trieben sie die Verschuldung der westlichen Industriestaaten auf etwa 140
Prozent des BIP im Jahr 1946, nach einem Tiefpunkt von gut 20 Prozent vor dem
Ersten Weltkrieg 1914. Der historische Blick auf Staatsschulden im Laufe der Jahrhunderte[5]
gibt Einblick in die sehr unterschiedlichen Folgen: in den schlimmsten Perioden
Überschuldung, Bankenzusammenbrüche, Währungskrisen und Hyperinflation; in den
besten dagegen Staatsbildung, Finanzmarktentwicklung sowie Ausbau ´harter´ und ´weicher´
Infrastruktur.
Was den Ausgang hoher
Staatsschulden beeinflusst, dazu bald mehr.
[1] Paul Krugman (2021), „Fighting
Covid Is Like Fighting a War”, NYT, 7.2.2021.
[2] Winand von Petersdorff (2021), „Die
Warnung der Progressiven an Präsident Biden“, FAZ, 7.2.2021.
[3] Summers hat den Begriff der säkularen Stagnation
wiederbelebt, in der expansive Finanzpolitik ein dauerhaftes Abgleiten in eine
Welt niedrigen Wachstums und tiefer Zinsen verhindern soll. Blanchard hatte
parallel zu Summers Stagnationsthese die neue Rolle der Staatsverschuldung in
einer Zeit niedriger Zinsen analysiert: Ein Zinsniveau unter der Wachstumsrate
übersetzt sich in sinkende Schuldenquoten; Schulden heute sind nicht die
Steuern von morgen. Das gilt besonders für den AAA-Schuldner Bundesrepublik Deutschland,
der inflationsbereinigt negative Zinsen auf seine Anleihen zahlt. Andererseits: Ohne staatliche Subventionen
und Transfers würde der virusbedingte Einbruch der privaten Wirtschaft die
Schuldenquoten infolge des geringeren BIP und Steuerausfällen weiter aufblähen.
[4] G. Braunberger, Spiel mit der Inflation, FAZ vom 7.2. 2021.
[5] Barry Eichengreen, et al. (2019), „Public Debt Through the Ages”, NBER Working Paper, #25494, 1.1.2019.
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