Wednesday 5 May 2021

Annalena Baerbock und die Sanktionen



 

Auf dem Weg zur Kanzlerin hat die Grüne Annalena Baerbock derzeit mächtig Rückenwind. Wahl-Umfragen zur Bundestagswahl 2021 bleiben für die Grünen positiv, und die öffentlich-rechtlichen Medien pusten noch dazu. Die Entwicklung der Grünen vom ursprünglichen Pazifismus der Gründergeneration zum bellizistischen Neokonservatismus (auf der Linie Albrights, Boltons, Cheneys oder Wolfowitz´) gibt Anlass zur Sorge.

Die Grünen zielen vor allem auf die unbestrittenen eklatanten Menschenrechtsverletzungen in China und Russland. Allerdings: Zu den Verletzungen der Menschenrechte zum Beispiel in Ägypten, Indien, Israel, Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten oder in den westlichen Ländern selbst hört man von den Grünen heuer wenig[1].

Die Androhung von Sanktionen sind ein beliebter Reflex der moralischen Entrüstung. Sucht man bei Google nach "Baerbock Sanktionen", werden in 0,36 Sekunden ca. 76300 Ergebnisse aufgerufen. Bei Google News sind es immerhin 15000.  Zentrale Aussagen finden sich in Baerbocks Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung:

·       Zu Russland: „Zudem gibt es ja Sanktionen als harte Maßnahmen, aber sie werden permanent konterkariert, weil die deutsche Bundesregierung am wichtigsten Prestigeprojekt des Kremls, der Gaspipeline Nord Stream 2, festhält. Ich hätte schon längst Nord Stream 2 die politische Unterstützung entzogen.“

·       Zu China: „ein anderer Umgang mit autoritären Regimen ist für mich in einer künftigen Bundesregierung eine Schlüsselfrage - für unsere Sicherheit und unsere Werte. Wir sind gerade in einem Wettstreit der Systeme: autoritäre Kräfte versus liberale Demokratien. Hier geht es auch um China. Das Projekt der Neuen Seidenstraße mit seinen weltweiten Direktinvestitionen in Infrastruktur oder Energienetze besteht nicht nur aus Nettigkeiten. Das ist knallharte Machtpolitik.“

Zwar werden die angedrohten Sanktionen von der Kandidatin nicht spezifiziert. Doch soll keiner nachher sagen, man habe von nichts gewusst. Aussenminister Heiko Maas (SPD) sprach bereits vom „Konfrontationsgeschrei“ der Grünen. Das Trommelfeuer der Kanzlerkandidatin lässt vermuten, dass die grüne Führung sich folgenden Fragen nicht hinreichend stellt:

1)  Welche Sanktionen gegen China oder Russland sind überhaupt wirksam? Sanktionen erleichtern zwar den Gesinnungsdruck, aber ihre Wirksamkeit wird bezweifelt.

Eine frühere Studie des heutigen Peterson Institute for International Economics (GC Hufbauer, JJ Schott, KA Elliott, 1990) über Sanktionen in 115 Ländern seit 1915 fand, dass Wirtschaftssanktionen ungeeignet waren, außenpolitische Ziele umzusetzen. Nur bei kleinen Zielländern und bei bescheidenen Sanktionszielen konnten Verhaltensänderungen festgestellt werden. Inzwischen zielen neben Handels- und Investitionsverboten ´moderne´ Sanktionen auf Finanztransaktionen, Geschäftsaktivitäten und Einzelpersonen. Daher ergibt sich aus einer analytischen Perspektive ein Zurechnungsproblem bei Wirksamskeitstudien (Marten Smeets, WTO, 2018)[2]. Smeets bezweifelt im Hinblick auf den Iran und Russland, dass Sanktionen aus wirtschaftlicher Sicht den Wandel bewirken können, der oft durch die ergriffenen Strafmaßnahmen angestrebt wird. Wirtschaftssanktionen im Allgemeinen verursachen allerdings Kosten in allen Ländern, die an den Sanktionen beteiligt sind. Das Land, das mit den Sanktionen konfrontiert ist, wird wahrscheinlich Handelsbeziehungen mit Drittparteien aufbauen, die nicht Teil der Sanktionskoalition sind.

2)  Wie hoch ist der Schaden von Sanktionen für Deutschland?  Diese Frage kann eine Studie beantworten, die versucht hat, die Wirkungen der Russlandsanktionen seit 2014 zu isolieren[3]. Heruntergebrochen auf einzelne Länder und Produktkategorien vergleicht sie die hypothetische Entwicklung ohne Sanktionen mit der schwächeren tatsächlichen Entwicklung. Die Differenz ist der Handelsverlust aufgrund der Sanktionen und Gegensanktionen. Die Europäische Union (EU) wiederum trägt 92 Prozent. Der Löwenanteil des Schadens der sanktionierenden Länder entfiel auf Deutschland mit 38 Prozent oder 667 Millionen US-Dollar Handelsverlust pro Monat[4].

3)  Gibt es perverse Effekte, wodurch unsere Sanktionen die Machthaber in China, Russland etc. stärken? Julia Grauvogel vom GIGA-Institut analysiert (IPG, 2020)[5], dass Sanktionen gegen autoritäre Regime wie Russland eine besondere Herausforderung darstellen. Sanktionen erweisen sich dort unter Umständen sogar als kontraproduktiv und stärken autoritäre Regime. Die Herrschenden können Sanktionen für ihre Zwecke instrumentalisieren, wenn es ihnen gelingt, die Maßnahmen als Angriff auf das gesamte Land darzustellen. So kann eine Wagenburg-Mentalität gegen den gemeinsamen äußeren Feind beschwört werden.

"Made in Germany"-Effekte[6] sind derweil bereits in China und Russland beobachtet worden. In China wird nunmehr Chipautonomie als Folge der US-Sanktionen verfolgt, was die noch führenden amerikanischen Chip-Designer schädigt und die globalen Lieferketten durch Chipmangel trifft, etwa die Automobilindustrie. Russland hat einen Bann auf Nahrungsmittelimporte erlassen infolge amerikanischer Sanktionen und damit die heimische Produktion stimulieren können; gleichzeitig ist Nahrungsmittelsicherheit in importabhängigen Staaten wieder ein heißes Thema.

4) Wie lässt sich ein Sanktionskarussell stoppen, bevor es in einen militärischen Konflikt mutiert? Westliche Entscheidungsträger sind regelmäßig mit der Frage konfrontiert, ob sie bisher erfolglose Sanktionen aufrechterhalten sollen (Julia Grauvogel, IPG 2020). Daher ist es wichtig, das mögliche Ende der Maßnahmen von Anfang an mitzudenken. Es ist leichter, Sanktionen zu verhängen, als sie wieder aufzuheben. Die Beendigung erfolgloser Sanktionen stellt ein außenpolitisches Dilemma da, sie kann die Reputation der sanktionierenden Staaten beschädigen. Klare vordefinierte Sanktionsziele mögen einen solchen Reputationsverlust verhindern.

Die Grünen würden ihre Konfrontationsrhetorik glaubwürdiger machen, wenn sie zunächst deutlich auf die Menschenrechtsverletzungen in Deutschland und in den westlichen Verbündeten hinweisen würden. Solange ihre Angriffe asymmetrisch gegen autoritäre Schwellenländer ausgerichtet bleiben, wirken die Grünen außenpolitisch als bellizistische Neokonservative. Sie sind damit (in meiner Sicht) ein Sicherheitsrisiko für Deutschland und Europa.

Auch die Wähler sollten nicht alles glauben, was Grüne denken.

 



[1] Fortlaufende Länderberichte zu eklatanten Menschenrechtsverletzungen liefert Human Rights Watch.

[2] Marten Smeets (2018), “Can economic sanctions be effective?”, WTO Staff Working Paper, No. ERSD-2018-03.

[3] Matthieu Crozet, Julian Hinz (2020), “Friendly fire: the trade impact of the Russia sanctions and counter-sanctions”, Economic Policy, Volume 35, Issue 101, January 2020, Pages 97–146.

[4] Norbert Häring (2019), „Fast 700 Millionen US-Dollar pro Monat: Deutschland leidet unter Russland-Sanktionen“, Handelsblatt, 11. Oktober.

[5] Julia Grauvogel (2020), „Über den (Un-)Sinn von Sanktionen“, IPG Journal, 13. Oktober.

[6] Die Herkunftsbezeichnung „Made in Germany“ wurde Ende des 19. Jahrhunderts als Schutz vor vermeintlich billiger und minderwertiger Importware in Großbritannien eingeführt. Wie bekannt, wurde aus dem Stigma ein Qualitätssiegel.

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