Tuesday 15 March 2022

Sanktionen, BRICS & Weltneuvermessung: Putins Krieg

 


Russland ist jetzt genauso totalitär wie China. In den großen Schwellenländern bleibt die autoritäre Herrschaft fest verankert[1].

Am 24. Februar ist Putins Russland in die Ukraine einmarschiert und hat das Land, das tapfer für seine Freiheit kämpft, mörderisch gebombt. Dies folgte auf den Einmarsch Russlands auf der Krim und die Einnahme der ukrainischen Regionen Donezk und Luhansk im Jahr 2014. Das Vorgehen gemahnt an Putins Kriegsverbrechen im Tschetchenien-Krieg und in Syrien.

Mindestens ein Jahrzehnt lang hat Putin die Selbstversorgung seines Landes mit Nahrungsmitteln aufgebaut, indem er die Getreideproduktion seit 2012 verdoppelt hat. Die beiden Inputs, die man braucht, um einen langen Krieg zu führen, sind Getreide und Energie - und davon hat Russland reichlich. Mit der Ukraine würden ein Viertel der globalen Weizenproduktion unter Putins kontrolle fallen.

Russlands Leistungsbilanzsaldo wurde nach dem Moratorium Ende der 1990er Jahre aktiviert. Mit den Überschüssen baute die russische Zentralbank eine Kriegskasse von über einer halben Billion US-Dollar auf. Von den Devisenreserven werden heute 12 vH in China gehalten; 22 vH werden als Goldreserven im Inland verwahrt; nur 6,5 vH der russischen Devisenreserven werden noch in den USA gehalten.

Xi Jinping ist seit 2012 der oberste Führer Chinas; seitdem hat er seine Macht immer weiter gefestigt. Er hat Demokratiebewegungen in Hongkong unterdrückt, Taiwan und andere Nachbarländer bedroht. Nicht zuletzt hat er Zwangsinternierungen, Massensterilisationen, Zwangsassimilation, "Umerziehung" und Zwang für inhaftierte Uiguren zur Arbeit in Fabriken durchgesetzt.

Zeitenwende Im Jahr 2022 droht ein geopolitischer Umbruch. Die Global Governance zerfällt in einen amerikanisch dominierten Block und einen chinesisch dominierten Block, mit Russland und den EU-Ländern als Juniorpartnern. Diese Hypothese wurde von Clemens Fuest (IFO München) und Martin Wolf (FT) vertreten[2]. Werden wirtschaftliche Spaltungen folgen? Die Verbindung zwischen geopolitischer und wirtschaftlicher Spaltung wird durch Sanktionen kalibriert, sofern diese wirksam sind.

Die BRICS-Staaten und ein Großteil des "Globalen Südens" könnten sich für den von China dominierten Block entscheiden – ein von westlichen Beobachtern heruntergespieltes Szenario.

Eine tiefe und anhaltende Spaltung zwischen dem Westen und einem Block, in dessen Mittelpunkt China und Russland stehen, wird zu wirtschaftlichen Spaltungen führen. Mangelndes gegenseitiges Vertrauen und humanitäre Bedenken bewirken nach vier Jahrzehnten intensiver Globalisierung einen Zerfall der Weltwirtschaft. Die militärische Aufrüstung wird auch für die ganze Welt die Friedensdividende schrumpfen lassen, so wie es in Putins Russland mit Ausnahme der superreichen Oligarchen in den letzten zwei Jahrzehnten geschehen ist.

Sowohl China als auch Russland sind wichtige Impulsgeber der BRICS (Website https://infobrics.org/), gemeinsam mit Brasilien, Indien und Südafrika. Die BRICS führen mit Ausnahme Südafrikas die Liste der Länder mit den höchsten Devisenreserven vor Deutschland an. Zusammen haben sie offizielle Devisenreserven im Wert von rund 6 Billionen Dollar aufgebaut, vor allem in den letzten zwei Jahrzehnten. Das auf dem BRIC-Gipfel 2014 in Brasilien beschlossene BRICS Contingent Reserve Arrangement (CRA) bietet Schutz gegen globalen Liquiditätsdruck. Seit dem BRICS-Gipfel 2015 in Russland wurde ein BRICS-Zahlungssystem eingerichtet, das als Alternative zum SWIFT-System gedacht ist und weitgehend von China unterstützt wird: Cross-Border Interbank Payment System (CIPS).

Die Weltwirtschaft zerfällt, korrekt gemessen, in etwa zwei gleiche Teile zwischen dem OECD-Block und dem Rest der Welt. Trotz seiner von 24 auf fast 40 gewachsenden Mitgliederzahl hat sich der Anteil der OECD am weltweiten BIP, ausgedrückt in Kaufkraftparitäten (KKP), laut dem Internationalen Vergleichsprogramm (ICP) zwischen 2011 und 2017 (letztes Referenzjahr) bei etwa 50 % stabilisiert. Auch der Anteil der großen Schwellenländer (China, Brasilien, Indien, Indonesien, die Russische Föderation und Südafrika) stabilisierte sich bei rund 30 % des weltweiten BIP[3].

Die Politikwissenschaftlerin Rachel S. Salzman (SAIS, Johns Hopkins U) hat in einer faszinierenden Studie die führende Rolle Russlands bei der Gründung und Formung der BRICS-Gruppe dokumentiert[4]. Der Wunsch, die Hegemonie der USA zu beenden, die Regeln neu zu schreiben und neue Institutionen aufzubauen, ist eine gemeinsame Verpflichtung der Gruppe. In einer Zeit der Entfremdung von der euro-atlantischen Welt bieten die BRICS sowohl China als auch Russland internationale Unterstützung.

Sanktionen werden den geopolitischen Bruch und die wirtschaftliche Spaltung auf globaler Ebene vorantreiben. In welchem Ausmaß, ist weniger sicher, als unsere eigene Propaganda uns glauben machen will.  Vor allem der Ausschluss russischer Banken von SWIFT wurde von Ökonomen und Politikern als "nukleare" Sanktion gefeiert, die Putin schnell zu Fall bringen würde. Alistair Milne, Professor für Finanzwirtschaft an der Universität Loughborough (UK), hat jedoch überzeugend dargelegt, dass der Ausschluss Russlands aus SWIFT im Gegensatz zum Einfrieren der Reserven der russischen Zentralbank ziemlich wirkungslos sein bleiben dürfte[5]. Jedenfalls dürfte sich neben Russland nun auch China motiviert fühlen, die westliche Finanzarchitektur in Zukunft zu meiden.[6]

Die Resolution der UN-Generalversammlung gegen Russland vom 2. März hat vielen die Augen geöffnet. Sicher, die "Welt will ein Ende des enormen menschlichen Leids in der Ukraine" (UN-Generalsekretär Antonio Guterres). Aber nur 141 der insgesamt 198 UN-Mitgliedsstaaten der UN-Generalversammlung nahmen eine Resolution an, in der Russland aufgefordert wird, seine Militäroperationen in der Ukraine unverzüglich zu beenden. Fünf Länder - Belarus, Nordkorea, Eritrea, Russland und Syrien - stimmten dagegen, 35 enthielten sich der Stimme.

Das Abstimmungsverhalten Afrikas muss für die DAC-Geber ein besonderer Wermutstropfen sein. Die Hälfte der (zu) vielen afrikanischen Länder hat Russlands Angriff auf die Ukraine nicht verurteilt. Sie zogen es vielmehr vor, sich der Stimme zu enthalten, abwesend zu sein, und wie Eritra gegen die UN-Resolution zu stimmen. Hauptmotov der afrikanischen Verweigerung, so der südafrikanische Wissenschaftler Paul-Simon Handy (ISS, Pretoria), ist eine tiefe anti-westliche Einstellung. Strukturell durch die Kolonialisierung und Versklavung durch die Europäer erklärbar, scheint auch die Ermordung des lybischen Staatsoberhauptes (und Finanzier der Afrikanischen Union) Muammar al-Gaddafi eine wichtige Rolle zu spielen[7].

Der Westen mag gedacht haben, dass die Gräueltaten in der Ukraine Russland völlig isolieren könnten. Möglicherweise hat er jedoch übersehen, in welchem Ausmaß nicht-westliche Länder ihre wirtschaftlichen Beziehungen abseits des Westens intensiviert haben und wie dies zu politischen Verbindungen geführt hat, die von neuen, nicht von den USA beherrschten Institutionen unterstützt werden. Kurz, der Westen hat die Weltneuvermessung (Shifting Wealth)[8] ignoriert.





[1]Democratic Recession in Major Emerging Countries”, ShiftingWealth Blog, 9. April 2021.

[2] [1] Clemens Fuest (2022), "Economic Consequences of the Russian Invasion of Ukraine", ifo Standpunkt 234, 4. März: Martin Wolf (2022), "Putin hat den Konflikt zwischen Tyrannei und liberaler Demokratie neu entfacht", FT, 1. März.

 

[4] Rachel S. Salzman (2019), Russia, BRICS, and the Disruption of Global Order, Georgetown University Press.

[6] Wolfgang Münchau (2022), “A BRIC, impenetrable to sanctions”, Eurointelligence, 13. März.

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