Friday, 12 June 2020

Meine deutschen Chefs: 1976-1983



Zwar war ich bereits nach dem Abitur von 1969 bis 1971 Auszubildender und Bankkaufsmanngehilfe bei der Commerzbank AG in Mönchengladbach. Aber ich möchte die Rückschau auf meine Chefs mit dem Jahr 1976 beginnen. Im heißen Sommer machte ich an der Uni Saarbrücken meinen Diplom-Volkswirt.


Wolfgang Stützel (1923-1987): Meinen ersten Job hatte ich mir in einer Kneipe der Saarbrücker Altstadt ´erquatscht´, wo ich Stützel mit Kenntnissen über Kenneth Boulding beeindruckt haben muss. (Zu Stützel: Ein farbiges und treffendes Portrait aus dem Jahr 1969 hat der zu früh verstorbende Willi Bongard verfasst.) Mit dem Diplom wandelte sich meine Stelle als studentische Hilfskraft in eine ½-Stelle als wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für Geld- und Kreditwesen. Da ich dank Olaf Sieverts Vorlesungen und meiner (Vor-)Diplomarbeiten Boden- und Städtebaupolitik recht gut kannte, nahm mich Stützel für Vorarbeiten zu einem Gutachten für ein „ministerienähnliches Gebilde“ auf. Es handelte sich um das inzwischen längst aufgelöste Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. Das Gutachten befasste sich mit der Auswirkung verschiedener Konzepte des Bau- und Bodenrechts auf den privaten Kredit. Insofern blieb Tuchfühlung erhalten mit Stützels Kernkompetenzen Gemeingüter, Konkurrenzparadoxa, Risikentransformation und Saldenmechanik (1958). Wie Stützel tickte, erfährt man in seinem letzten mit Rolf-Dieter Grass verfassten Lehrbuch, Volkswirtschaftslehre, Verlag Vahlen[1]. Er war mehr ein mikroökonomisch fundierter Makroökonom und Experte des Kreditwesens als der keynesianische Lauterbach-Schüler, zu dem er heute (z.B auf Wikipedia durch einen gewissen ´Walwol´) gemacht wird[2].


Nach meiner Arbeit für Wolfgang Stützel rief das vom früheren Saarbrücker Professor Herbert Giersch und meinem späteren Doktorvater Gerhard Fels geleitete Institut für Weltwirtschaft in Kiel in die alte Krupp´sche Villa an der Förde. Damit schlug ich den inzwischen von liberal erzogenen Ökonomen ausgetretenen Pfad von Saarbrücken nach Kiel in die von Juergen B(ernardo) Donges (1940-) geleitete Abteilung ´Entwicklungsländer und Weltwirtschaft´. Meine Aufgaben konzentrierten sich auf Landwirtschaft, Verbraucherverhalten und Außenhandel besonders in Malaysia; das hatte zwar wenig mit meinen Vorkenntnissen zu tun, aber ich sollte in erster Linie einem Gutachten für den SFB 86 der Deutschen Forschungsgemeinschaft dienen. Die Abteilung war vor allem damit beschäftigt, Schwellenländer von der Strategie der Industriepolitik cum Importsubstitution abzubringen. Der hochkonzentriert arbeitende Donges war viel unterwegs für die Verbreitung konsequent marktwirtschaftlicher Glaubensbekenntnisse. Der lebhafte Mann konnte das sehr gut, und die Kaffeerunden – zu denen wir Jüngeren aus unseren schallgedämpften Büros herauskamen - mit ihm (sofern er in Kiel war) verliefen stets unterhaltsam. Faktisch wurde die Abteilung von Ulrich Hiemenz und Rolf Langhammer geleitet. Wie andere aus der Abteilung auch (z.B. Stefan Baron und Thomas Mayer), verließ ich Kiel 1980 nach nur drei Jahren.

Zum ersten Mal lebte ich in einer wirklichen Großstadt – Köln! Dort, im Haus der deutschen Industrie am Gustav-Heinemann-Ufer, lernte ich eine schöne Bibliothekarin kennen und lieben, die nun schon 40 Jahre lang mein wirklicher Chef ist.

Ich hatte beim BDI angeheuert und verstand mich auf Anhieb sehr gut mit dem nächsten Chef, den kettenrauchenden Kurt Steves (1930-2011). Dieser war von der Tageszeitung Die Welt als Leiter der Abteilung für Außenwirtschaft und Integration zum BDI gewechselt; die Flexibilität, Lockerheit und Weltläufigkeit des Journalisten hatte er sich bewahrt und machte ihn trotz harter Arbeit im BDI zum Paradiesvogel. Meine wesentliche Aufgabe war gottlob nicht die frustrierende Verbandsarbeit, sondern die Verfassung der ausführlichen (immerhin 60 Seiten) BDI-Stellungahme zur Neuen Weltwirtschaftsordnung (NWWO)[3], welche besonders durch die UNCTAD propagiert wurde und von der Prebisch-Singer-These geprägt war. Ein wesentliches Element der von der UNCTAD geforderten NWWO war ein „Integrierte Rohstoffprogramm“, mit dem für 18 Rohstoffe stabilere und höhere Preise erreicht werden sollen. Das galt es aus der merkantilistischen Perspektive der deutschen Industrie in intelligenter Weise abzuschmettern, wegen der Gefahr höherer Kosten und niedriger Versorgungssicherheit der Rohstoffimporte. Ich verliess 1981 den BDI, nachdem das Werk vollbracht war, aber hörte gelegentlich, dass ´mein´ NWWO-Memorandum noch lange Zeit vom BDI verwendet wurde.


Schomerus

Die nächsten Chefs befanden sich in der Industrieabteilung des BMWi, in der Villemombler Straße (Bonn). Die Anstellung verdanke ich in erster Linie meiner Diskussionsfreude und dem ordnungspolitischen Urgestein Hans Tietmeyer, der mich im Gegensatz zum damaligen Personalchef als nicht zu vorlaut empfand bei der Debatte mit anderen Kandidaten. Leider steckte man mich nicht in Tietmeyers Abteilung, sondern in die Industrieabteilung unter Robert Wandel und dem späteren Staatssekretär Lorenz Schomerus (1933-2018). Doch auch in der Abteilung Industrie gab es vielfältige Aufgaben, abseits von der reinen Lehre, selten jedoch federführend. Beispiele: Eine wasserdichte Ministererlaubnis gegen das Kartellamt (Salamander) erstellen; beim Internationalen Seerecht das AA im Zaume halten; die Anlegung einer deutschen strategischen Rohstoffvorsorge begründen; gegen die ordoliberalen Instinkte des Ministers (Otto Graf Lambsdorff) und seines Staatssekretärs Otto Schlecht ein Konzept für vorsichtige Industriepolitik erarbeiten (auch im Lambsdorff-Papier); und Redebeiträge für den Minister vorbereiten.

Im Dezember 1983 verliess ich mit meiner jungen Braut BMWi, Bonn/Köln und Deutschland in Richtung Paris zur OECD. Über meine Chefs im (wegen seiner vielen Privilegien) Goldenen Käfig OECD werde ich demnächst berichten.

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[1] Leider hat der Vahlen-Verlag nach drei Auflagen das Lehrbuch nicht im Programm gehalten. Stützel begann nach einem Gehirnschlag Selbstmord und Grass schlug eine Karriere als Pressesprecher verschiedener Unternehmen ein, sodass eine akademische Verwertung des Lehrbuchs als Vorlesungsmaterial unwahrscheinlich wurde.

[2] Vgl. aber Wolfgang Müller (2016), Saarbrücken: Zur archivischen Überlieferung eines prägenden Volkswirtschaftlers – der Nachlass von Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Stützel (1925 – 1987) im Archiv der Universität des Saarlandes, Nachlass Stützel.

[3] BDI (1981), Für Kooperation zwischen Industrie- und Entwicklungsländern – Memorandum zur Nord-Süd-Diskussion am Beginn des dritten Entwicklungsjahrzehnts, Köln.





1 comment:




  1. Falls es Sie interessieren sollte, "WalWol" ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Wolfgang Waldner, von dem Sie sich hier ein eigenes Bild machen können:
    wolfgang-waldner.com
    Ich enthalte mich jeglicher Kommmentierung.

    Beste Grüße

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