Sunday 21 June 2020

Meine OECD-Chefs: Die 1980er Jahre

Die OEEC war seit 1948 das europäische Kind des Marshallplans und die OECD seit 1961 sein nordatlantischer Enkel. Das OECD Development Centre wurde die südorientierte Spätgeburt. 1962 auf Anregung des damaligen US-Präsidenten John F. Kennedy[1] gegründet, sollte die halbautonome forschungsorientierte Einrichtung dem Erfahrungsaustausch und als Bindeglied zwischen den OECD-Mitgliedern und den Entwicklungsländern dienen. Trotz Angeboten durch IfW (DC), Moody´s (NYC), KfW (Ffm) und GIGA (HH) blieb ich fast 29 Jahre dem Development Centre in Paris verbunden[2].

Die OECD und das OECD Development Centre hatten  im Dezember 1983, als ich dort begann, wohl die beste Zeit hinter sich. Der letzte bei den Volkswirten hochgeschätzte Generalsekretär war Emile van Lennep. Er war Jurist, der seinem Economics Department (alle anderen Abteilungen durften sich nur Directorate nennen) gerne zuhörte. Sein keynesianisch geprägter Chefvolkswirt Stephen Marris war jemand, der sich von den damals populären Strömungen der Ökonomie (Rationale Erwartungen; Angebotstheorie) nicht anstecken ließ. Ein typisches Agenturproblem, das man bei den multilateralen Organisationen oft antraf: Der Agent scherte sich nur scheinbar um die Präferenzen seiner Mitglieder, dem Prinzipal[3]. Das konnte in Zeiten von Reagan und Thatcher nicht lange gut gehen.


Das OECD Development Centre hatte bis dato seine beste Zeit infolge des britischen Vizedirektors Prof. Ian M.D. Little[4] (†2012) erlebt, der in seiner kurzen Amtszeit (1966-68) liberale britische und indische Spitzenökonomen um sich scharte (z.B. Jagdish Bhagwati, Deepak Lal, James Mirless, Tibor Scitovsky, Maurice Scott). Zwei Studien – Manual of Industrial Project Analysis II, Social Cost Benefit Analysis (1969) und Industry and Trade in some Developing Countries (1970) – waren nachhaltig einflussreich, wenn auch umstritten, in der entwicklungsökonomischen Literatur[5]. Als ich im Dezember 1983 beim OECD Development Centre anheuerte, waren akademische Ausrichtung, Liberalismus und Exzellenz längst verflogen, die wichtigen Protagonisten in Richtung Nuffield College (Oxford U) und Weltbank gewandert.

Das Centre war also in den 1960ern marktliberal während der keynesianischen Ausrichtung der OECD; danach drehte die OECD allmählich und spät in Richtung Angebotspolitik. Das Centre kam zunehmend unter den Einfluss kleiner europäischer OECD-Länder (Tabelle 1) und geriet zunehmend in innere Opposition zur OECD, die stark von den USA und Großbritannien geprägt war.

Tabelle 1: Eine Chefin und sechs Chefs des OECD Development Centre, 1983-2012

Zeitraum

Development Centre

OECD-Generalsekretäre

Zeitraum

1983-85

Justus Faaland (†2017), N

Emile v Lennep (†1996), NL

1969-84

1985-92

Louis Emmerij (†2019), NL

Jean-Claude Paye, F

1984-94

1993-99

Jean Bonvin (†2017), CH

Don Johnston, CAN

1996-06

1999-03

Jorge Braga de Macedo, P

 

 

2003-07

Louka Katseli, Gr

José Ángel Gurría, Mex

2006-

2007-10

Javier Santiso, Esp

 

 

2010-

Mario Pezzini, I

 

 

 

Der Norweger Just Faaland, ein ehemaliger KZ-Häftling (Buchenwald 1943-45) wurde mein erster OECD-Chef; widerwillig, weil ich sehr wenig akademisch publiziert hatte bis dahin und ihm als Deutscher wohl auch suspekt war[6]. Ein Student des Nobelpreisträgers Ragnar Frisch, wurde Faaland 1949 bei der OEEC in Paris angestellt, wo unter anderem auch Angus Maddison und der spätere Nobelpreisträger Tom Schelling arbeiteten. Im Jahr 1952 wurde er zum Mitglied des Chr. Michelsen-Instituts (Bergen) berufen, wo er 28 Jahre als Direktor fungierte. Prof. Faaland hatte, bis er Präsident des OECD Development Centre wurde, etliche Länder und internationale Organisationen beraten. Für seine Beratung hinsichtlich Malaysias multiethnischer Bumiputra-Politik erhielt Tan Sri Just Faaland im Jahr 2010 den Merdeka Award.


Recht bald lernte ich durch Faalands Vermittlung den schottischen Bestsellerautor[7] des Development Centre – den „chiffrephilen“ Wirtschaftshistoriker Angus Maddison - kennen, der früher wie Faaland mit der OEEC gearbeitet hatte. Angus pendelte seitdem von seinem „electronic cottage“ in Nordfrankreich aus zwischen seinem Lehrstuhl an der Uni Groningen und der OECD in Paris, wenn er sich nicht gerade in der großen weiten Welt Daten besorgte. Als wir uns beim Mittagessen kennenlernten, stießen Faaland und Maddison mit Champagner auf den kommenden Sturz Maggie Thatchers an; ich trank dabei patzig ein Glas Milch.

Faalands Präsidentschaft beim OECD Development Centre taucht in keiner der Nachrufe noch in seiner Wiki-Seite auf. Sie war ein großes Misverständnis und schnell beendet. Der scheue, schweigsame und distanzierte Norweger verachtete die OECD und seine Botschafter, die sich gerne reden hörten aber wenig von Entwicklung verstanden. Das trug ihm zwar beim Stab viel Sympathien ein; für sein politisches Überleben bei der OECD war diese Haltung tödlich[8].

Ich selbst war für drei Jahre entsendet und sollte zum Thema „Lateinamerikas Schuldenkrise und internationaler Handel“ publizieren – konkreter wurde auch auf Nachfrage der Auftrag nicht. Fein... Nach einer ersten noch neoklassisch geprägten Fingerübung (im Stil des Exil-Ungarn Bela Balassa) entdeckte ich die augenfälligen Parallelen zwischen dem hyperinflationären Lateinamerika der 1980er mit dem Deutschland der 1920er. Der Gedanke, den noch fehlenden Doktortitel vor meiner vermeintlichen Rückkehr ins BMWi nachzuholen, reifte schnell. Da Köln rasch per Zug zu erreichen war und meine Schwester dort nahe der Uni wohnte, kontaktierte ich den Ex-Kieler Prof. Gerhard Fels beim IW, der mich an Prof. Hans Willgerodt und Ralph Anderegg ´weiterreichte´.

Ich stürzte mich förmlich auf die Nachkriegsliteratur zum deutschen Reparationsproblem. Dass das deutsche Transferproblem weitaus mehr Facetten hatte als nur das durch die Keynes/Ohlin-Debatte populär gewordene Übertragungsproblem (in Form verschlechterter terms of trade), das erfuhr ich insbesonders in den Schriften von Fritz Machlup. Wie vierzig Jahre früher die deutschen, scheiterten die Schuldentransfers etlicher Schwellenländer nicht am Dollarproblem, sondern am internen Aufbringungsproblem[9].

Da bislang besonders in Washington, DC, Lateinamerikas Schuldenproblem vornehmlich als Dollarproblem interpretiert wurde, schlug die OECD-Fassung hohe Wellen, befeuert durch William R. Cline (PIIE), Jeffrey D Sachs (Columbia U) und Vito Tanzi (IMF). Letzterer hatte als Fiskaldirektor des Währungsfonds auch ein bürokratisches Interesse an meiner Arbeit: es geriet zu meinem ganz persönlichen Tanzi-Effekt. Er lud mich zum IMF-Vortrag nach Washington ein und zum Istanbul-Kongress 1988 des International Institute of Public Finance. Es folgte 1989 eine Einladung der Weltbank, unmittelbar vor der Präsentation des Brady-Plans durch das US Treasury, in der ich der Frage nachging, wie die Industrieländer nach dem zweiten Weltkrieg ihre hohen öffentlichen Schuldenquoten ohne Krise durchhalten konnten. Der Aufsatz hat mehr als dreissig Jahre später durch die Covid-Krise wieder Aktualität gewonnen[10].


Just Faalands niederländischer Nachfolger Louis Emmerij (auch „Big Louis“) kam aus Den Haag, wo er vorher neun Jahre als Rektor des Institute of Social Studies fungiert hatte, ohne dass sich seine Ambition errfüllte, niederländischer Entwicklungsminister (wie sein PvdA-Parteifreund Jan Pronk) zu werden. Vorher hatte Big Louis sich Verdienste erworben bei der ILO, wo er 1971-76 das World Employment Program geleitet hatte. Unter Big Louis´ Führung war das Konzept der Grundbedürfnisse (basic needs) entwickelt worden, ein Vorreiter des später vom die Entwicklungsdebatte prägenden UNDP-Chef Mahbub Ul Haq entwickelten Human Development Index.

Emmerij brachte einige interessante Ökonomen ins Centre (Eliana Cardoso mit Rudi Dornbusch; Jacques Polak; Keith B. Griffin). Rudi setzte sich bei Peter Kenen dafür ein, meine Dissertation in konzentrierter Form als Princeton Study in International Finance global zu verbreiten [11]. Für Jacques Polak wurde ich der hausinterne Sparringspartner von zwei OECD-Publikationen[12].

Emmerijs Vater war 1945 im KZ Dachau ums Leben gekommen[13]. Mein Schuldenthema „your pet subject“ interessierte ihn auch nicht sonderlich. Dennoch bewunderte ich Big Louis für seine wache Intelligenz und pünktlich befristeten Arbeitszeiten. Seine feudalen Vorlieben sah ich dem Kaviar-Sozialisten nach; mittags ließ er sich mit dem Dienstwagen vom eigenen Chauffeur in den teuren Country-Club im Bois de Boulogne fahren, wo er bei gutem Wetter gerne Hof hielt.

Louis Emmerij scheint als Centre-Präsident keine nachhaltigen Spuren hinterlassen zu haben. Weder führt ihn die iLibrary der OECD auf noch das OECD Development Centre, was darauf hindeutet, dass er keine nachhaltigen Konferenzbände hinterlassen hat. Der Austritt wichtiger Mitgliedsländer aus dem OECD Development Centre, allen voran die USA und im Gefolge Japan, rühren aus seiner Zeit als Präsident.

Allerdings fällte Big Louis gute Personalentscheidungen. Er holte David Turnham zurück, den schon Ian Little als Forschungsassistent mitgebracht hatte und in der Zwischenzeit bei der Weltbank reussierte. David war einer der Ersten, die sich dem Problem der Unterbeschäftigung in den armen Ländern gewidmet hatte. Der später vielfache Großvater zeigte auch schon in den späten 1980ern mit unserem Babygirl Talent als lebendes Reitpferd. Außerdem heuerten die Professoren Christian Morisson, Jean-Claude Berthelemy und Aristomène Varoudakis an. Mit ihnen ging es langsam mit dem Centre wieder aufwärts, zumal sie auch den sympathischen Prof. François Bourgignon (später Chefökonom der Weltbank und dann Gründungsrektor PSE) einbanden.

 

 



[1] Die Gründung des OECD-Entwicklungszentrums wurde von US-Präsident John F. Kennedy in einer Rede vor dem kanadischen Parlament in Ottawa am 17. Mai 1961 vorgeschlagen: https://youtu.be/tVO4HifEqEk

[2] In Deutschland (1976-1983) hatte ich während einer recht kurzen Berufszeit als Volkswirt vier Arbeitgeber. Vgl. https://reibreisen.blogspot.com/2020/06/meine-deutschen-chefs-1976-1983.html.

[3] Bei multilateralen Organisationen erschwerte die doppelte Delegation (Wähler->Regierung->Multi) das Prinzipal-Agenten-Dilemma. Vgl. dazu z.B.  Nielson, Parks & Tierney (2017), „International organizations and development finance: introduction to the special issue”, The Review of International Organizations , Vol. 12, S. 157–169.

[4] Vgl. zur Würdigung des Ökonomen IMD Little:  C. Bliss and V. Joshi (2014). "Ian Malcolm David Little 1918–2012" (PDF). Biographical Memoirs of Fellows of the British Academy. XIII: 317–318.

[5] In seinen Erinnerungen nimmt Prof. Little wie gewohnt kein Blatt vor den Mund. Daher lesenswwert: Little (2002), „The Centre since the 1960s“, in Jorge Braga de Macedo, Colm Foy and Charles P. Oman (eds.), Development is Back, Paris: OECD Development Centre, 257-262.

[6] Die deutsche Vertretung bei der OECD hatte vergeblich auf einen hohen Posten am Centre spekuliert. Erst als sich diese Personalie zerschlug, machte sie Druck für meine Kandidatur.

[7] Unter seinen vielen OECD-Bestsellern ist das meistzitierte Angus Maddison (2006), The World Economy, Vol.1: A Millenial Perspective; Vol. 2: Historical Statistics,  Paris: OECD Development Centre.

[8] Da die OECD ihr institutionelles Gedächtnis wenig pflegt, führt sie auch keine Würdigung seiner früheren Centre- Präsidenten. Vgl. das Chr. Michelsen Institute (2017), In memory of Just Faaland , Bergen (Norwegen).

[9] Helmut Reisen (1987), Über das Transferproblem hochverschuldeter Entwicklungsländer, Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden. Vgl. OECD-Version Helmut Reisen & Axel van Trotsenburg (1988), Developing Country Debt: The Budgetary and Transfer Problem, Paris: OECD Development Centre. Mit Axel van Trotsenburg, der bei der Weltbank eine große Karriere machte, veröffentlichte ich im selben Jahr einen ersten Aufsatz zum optimalen Währungsregime in Ostasien; vgl. Helmut Reisen & Axel van Trotsenburg (1988), „Should the Asian NICs Peg to the Yen?“, Intereconomics, vol. 23(4), pages 172-177, July.

[10] Helmut Reisen (1989), “Public Debt, North and South”, Policy Research Working Paper Series 253, The World Bank.

[11] Daraus wurde Helmut Reisen (1989), "Public Debt, External Competitiveness, And Fiscal Discipline In Developing Countries," Princeton Studies in International Economics 66, International Economics Section, Departement of Economics Princeton University.

[12] Jacques J. Polak (1989), Financial Policies and Development, Paris: OECD Development Centre;  J.J. Polak (1991), “The Changing Nature of IMF Conditionality”, OECD Working Paper No. 41.

[13] Richard Jolly (2020), „Louis Emmerij obituary“, The Guardian, 27 January. Als Deutscher wurde ich aus verständlichen Gründen von Big Louis recht kühl behandelt, wie vorher von Just Faaland.


Friday 12 June 2020

Meine deutschen Chefs: 1976-1983



Zwar war ich bereits nach dem Abitur von 1969 bis 1971 Auszubildender und Bankkaufsmanngehilfe bei der Commerzbank AG in Mönchengladbach. Aber ich möchte die Rückschau auf meine Chefs mit dem Jahr 1976 beginnen. Im heißen Sommer machte ich an der Uni Saarbrücken meinen Diplom-Volkswirt.


Wolfgang Stützel (1923-1987): Meinen ersten Job hatte ich mir in einer Kneipe der Saarbrücker Altstadt ´erquatscht´, wo ich Stützel mit Kenntnissen über Kenneth Boulding beeindruckt haben muss. (Zu Stützel: Ein farbiges und treffendes Portrait aus dem Jahr 1969 hat der zu früh verstorbende Willi Bongard verfasst.) Mit dem Diplom wandelte sich meine Stelle als studentische Hilfskraft in eine ½-Stelle als wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für Geld- und Kreditwesen. Da ich dank Olaf Sieverts Vorlesungen und meiner (Vor-)Diplomarbeiten Boden- und Städtebaupolitik recht gut kannte, nahm mich Stützel für Vorarbeiten zu einem Gutachten für ein „ministerienähnliches Gebilde“ auf. Es handelte sich um das inzwischen längst aufgelöste Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. Das Gutachten befasste sich mit der Auswirkung verschiedener Konzepte des Bau- und Bodenrechts auf den privaten Kredit. Insofern blieb Tuchfühlung erhalten mit Stützels Kernkompetenzen Gemeingüter, Konkurrenzparadoxa, Risikentransformation und Saldenmechanik (1958). Wie Stützel tickte, erfährt man in seinem letzten mit Rolf-Dieter Grass verfassten Lehrbuch, Volkswirtschaftslehre, Verlag Vahlen[1]. Er war mehr ein mikroökonomisch fundierter Makroökonom und Experte des Kreditwesens als der keynesianische Lauterbach-Schüler, zu dem er heute (z.B auf Wikipedia durch einen gewissen ´Walwol´) gemacht wird[2].


Nach meiner Arbeit für Wolfgang Stützel rief das vom früheren Saarbrücker Professor Herbert Giersch und meinem späteren Doktorvater Gerhard Fels geleitete Institut für Weltwirtschaft in Kiel in die alte Krupp´sche Villa an der Förde. Damit schlug ich den inzwischen von liberal erzogenen Ökonomen ausgetretenen Pfad von Saarbrücken nach Kiel in die von Juergen B(ernardo) Donges (1940-) geleitete Abteilung ´Entwicklungsländer und Weltwirtschaft´. Meine Aufgaben konzentrierten sich auf Landwirtschaft, Verbraucherverhalten und Außenhandel besonders in Malaysia; das hatte zwar wenig mit meinen Vorkenntnissen zu tun, aber ich sollte in erster Linie einem Gutachten für den SFB 86 der Deutschen Forschungsgemeinschaft dienen. Die Abteilung war vor allem damit beschäftigt, Schwellenländer von der Strategie der Industriepolitik cum Importsubstitution abzubringen. Der hochkonzentriert arbeitende Donges war viel unterwegs für die Verbreitung konsequent marktwirtschaftlicher Glaubensbekenntnisse. Der lebhafte Mann konnte das sehr gut, und die Kaffeerunden – zu denen wir Jüngeren aus unseren schallgedämpften Büros herauskamen - mit ihm (sofern er in Kiel war) verliefen stets unterhaltsam. Faktisch wurde die Abteilung von Ulrich Hiemenz und Rolf Langhammer geleitet. Wie andere aus der Abteilung auch (z.B. Stefan Baron und Thomas Mayer), verließ ich Kiel 1980 nach nur drei Jahren.

Zum ersten Mal lebte ich in einer wirklichen Großstadt – Köln! Dort, im Haus der deutschen Industrie am Gustav-Heinemann-Ufer, lernte ich eine schöne Bibliothekarin kennen und lieben, die nun schon 40 Jahre lang mein wirklicher Chef ist.

Ich hatte beim BDI angeheuert und verstand mich auf Anhieb sehr gut mit dem nächsten Chef, den kettenrauchenden Kurt Steves (1930-2011). Dieser war von der Tageszeitung Die Welt als Leiter der Abteilung für Außenwirtschaft und Integration zum BDI gewechselt; die Flexibilität, Lockerheit und Weltläufigkeit des Journalisten hatte er sich bewahrt und machte ihn trotz harter Arbeit im BDI zum Paradiesvogel. Meine wesentliche Aufgabe war gottlob nicht die frustrierende Verbandsarbeit, sondern die Verfassung der ausführlichen (immerhin 60 Seiten) BDI-Stellungahme zur Neuen Weltwirtschaftsordnung (NWWO)[3], welche besonders durch die UNCTAD propagiert wurde und von der Prebisch-Singer-These geprägt war. Ein wesentliches Element der von der UNCTAD geforderten NWWO war ein „Integrierte Rohstoffprogramm“, mit dem für 18 Rohstoffe stabilere und höhere Preise erreicht werden sollen. Das galt es aus der merkantilistischen Perspektive der deutschen Industrie in intelligenter Weise abzuschmettern, wegen der Gefahr höherer Kosten und niedriger Versorgungssicherheit der Rohstoffimporte. Ich verliess 1981 den BDI, nachdem das Werk vollbracht war, aber hörte gelegentlich, dass ´mein´ NWWO-Memorandum noch lange Zeit vom BDI verwendet wurde.


Schomerus

Die nächsten Chefs befanden sich in der Industrieabteilung des BMWi, in der Villemombler Straße (Bonn). Die Anstellung verdanke ich in erster Linie meiner Diskussionsfreude und dem ordnungspolitischen Urgestein Hans Tietmeyer, der mich im Gegensatz zum damaligen Personalchef als nicht zu vorlaut empfand bei der Debatte mit anderen Kandidaten. Leider steckte man mich nicht in Tietmeyers Abteilung, sondern in die Industrieabteilung unter Robert Wandel und dem späteren Staatssekretär Lorenz Schomerus (1933-2018). Doch auch in der Abteilung Industrie gab es vielfältige Aufgaben, abseits von der reinen Lehre, selten jedoch federführend. Beispiele: Eine wasserdichte Ministererlaubnis gegen das Kartellamt (Salamander) erstellen; beim Internationalen Seerecht das AA im Zaume halten; die Anlegung einer deutschen strategischen Rohstoffvorsorge begründen; gegen die ordoliberalen Instinkte des Ministers (Otto Graf Lambsdorff) und seines Staatssekretärs Otto Schlecht ein Konzept für vorsichtige Industriepolitik erarbeiten (auch im Lambsdorff-Papier); und Redebeiträge für den Minister vorbereiten.

Im Dezember 1983 verliess ich mit meiner jungen Braut BMWi, Bonn/Köln und Deutschland in Richtung Paris zur OECD. Über meine Chefs im (wegen seiner vielen Privilegien) Goldenen Käfig OECD werde ich demnächst berichten.

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[1] Leider hat der Vahlen-Verlag nach drei Auflagen das Lehrbuch nicht im Programm gehalten. Stützel begann nach einem Gehirnschlag Selbstmord und Grass schlug eine Karriere als Pressesprecher verschiedener Unternehmen ein, sodass eine akademische Verwertung des Lehrbuchs als Vorlesungsmaterial unwahrscheinlich wurde.

[2] Vgl. aber Wolfgang Müller (2016), Saarbrücken: Zur archivischen Überlieferung eines prägenden Volkswirtschaftlers – der Nachlass von Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Stützel (1925 – 1987) im Archiv der Universität des Saarlandes, Nachlass Stützel.

[3] BDI (1981), Für Kooperation zwischen Industrie- und Entwicklungsländern – Memorandum zur Nord-Süd-Diskussion am Beginn des dritten Entwicklungsjahrzehnts, Köln.





Monday 1 June 2020

Europäische Integration wohin?

https://zeitung.faz.net/faz/wirtschaft/2020-06-02/b4381b113dc4170d9c4fdb287297d305/

Meine Buchbesprechung zu Eckhard Wurzels Buch ist heute in der FAZ (Wirtschaft, Seite 18)  publiziert worden. Ich kann es allen empfehlen, die eine nüchterne Inventur des Sanften Monsters in Brüssel (HM Enzensberger) suchen.