Publiziert in MakronomMagazin, 4. März 2021
https://makronom.de/wie-sich-die-corona-schulden-entsorgen-lassen-38585
Wie andere Pandemien vor
ihr wird auch die derzeitige Corona-Pandemie irgendwann enden – entweder „medizinisch“ oder „sozial“. Das medizinische
Ende tritt ein, wenn die Zahl der Erkrankten stark zurück geht.
Das soziale Ende findet vor allem in den Köpfen der Menschen
statt. Es tritt ein, wenn die Angst vor der Krankheit abnimmt, die Menschen die
Einschränkungen nicht mehr hinnehmen wollen – und lernen, mit der Krankheit zu
leben.
Wann dies der Fall sein
wird, ist jedoch bisher nicht absehbar. Gleiches gilt auch für den
wirtschaftspolitischen Kurs, der sich mit den Nachwehen der Krise beschäftigen
werden muss. In Deutschland ist der öffentliche Streit um die Corona-Pandemie
seit geraumer Zeit sehr vergiftet, und dies gilt zunehmend leider auch für die
wirtschaftspolitischen Debatten. So scheinen inzwischen offenbar auch
Invektiven mit Angriffen ad hominem in der vorgeblich
seriösen Tagespresse in Bezug auf die Finanzierung der Pandemie-Maßnahmen
akzeptabel zu sein. Dieser Beitrag soll helfen, in der Debatte einen kühlen
Kopf zu bewahren, indem die verschiedenen Optionen zum Umgang mit den
Staatsschulden aufgezeigt werden.
Historische Lehren
Die sozialen und wirtschaftlichen
Folgen des Virus, und in der Folge die staatliche Unterstützung, wirkten
gleichsam als exogener Schock auf die Staatsverschuldung. Die Pandemie wird
hohe Staatsschulden hinterlassen, dafür gibt es auch historische Hinweise. Die
letzten 100 Jahre haben uns genug Anschauungsmaterial geliefert, wie
hochverschuldete Staaten auf einen Schuldenabbaupfad zurückfinden könnten.
Auch die
Weltwirtschaftskrise 1929-33, die Weltkriege des 20. Jahrhunderts sowie die
Weltfinanzkrise der Jahre 2007-09 waren exogene Schocks, in deren Folge es hohe
Staatschuldenquoten in den fortgeschrittenen Ländern gab. Der monetäre
Volcker-Schock der US-Notenbank Federal Reserve blähte in den 1980ern via
Dollar, Rohstoffpreisen und Zinsen die Staatsschulden der Schwellenländer auf.
Hohe Staatsschulden waren dort auch endogener Natur, etwa die
Folge bilanzieller Währungsinkongruenzen oder verlustreicher Staatsunternehmen.
Drei bemerkenswerte
Perioden öffentlicher Entschuldung lassen sich laut Eichengreen et al. in den Jahrzehnten vor dem Ersten
Weltkrieg und in der Zeit vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zum Beginn der
1970er Jahre erkennen. Der Mittelwert der Staatsschulden erreichte oft etwa
150% des BIP, bevor er auf einen Wert von rund 40% gesenkt wurde. Was waren die
Haupttreiber dieser Erosion?
- Die erwähnte Studie von Eichengreen et al. beschreibt drei erfolgreiche
Episoden der Schuldenkonsolidierung vor dem Ersten Weltkrieg: Großbritannien
nach den Napoleonischen Kriegen, die Vereinigten Staaten im letzten
Drittel des 19. Jahrhunderts und Frankreich in den Jahrzehnten vor 1913.
Die Napoleonischen Kriege, der Deutsch-Französische Krieg und der
US-Bürgerkrieg waren die drei teuersten militärischen Konflikte des 19.
Jahrhunderts, mit der Folge schuldenfinanzierter Kriegsausgaben. Die
Entschuldung nach diesen Kriegen vollzog sich angesichts positiver
Zins-Wachstumsdifferenzen (die Zinsen waren höher als das Wachstum) in
allen drei Staaten vornehmlich durch Primärüberschüsse.
- Nach dem Zweiten Weltkrieg fielen die
Schuldenquoten in den entwickelten Volkswirtschaften rapide ab. Sie
erreichten in den 1960er Jahren das Niveau aus der Zeit vor dem Ersten
Weltkrieg. Die Ursache hierfür waren in erster Linie jedoch nicht
Budgetüberschüsse, sondern die rapide Expansion des nominalen BIP. Der
Boom der Nachkriegszeit hatte verschiedene Etiketten: Erhards
„Wirtschaftswunderjahre“ in Deutschland, „Les Trente Glorieuses“ in
Frankreich, „Il Boom Economico“ in Italien. Im Falle Deutschlands drückten
auch die Schuldenerlasse von 1948 und 1953 durch die alliierten
Siegermächte die Schuldenquote.
- Zum Ende des 20. Jahrhunderts reduzierten
sich die Staatsschuldenquoten in den ärmsten Ländern rapide und blieben
zunächst auf recht niedrigem Niveau. Wesentliche Ursache: die HIPC-Initiative der
Bretton-Woods-Schwestern von 1996 zu Gunsten von meist afrikanischer
Niedrigeinkommensländern. Diese hatten nicht vom Brady-Plan von 1989
profitiert, der vornehmlich lateinamerikanische Schwellenländer
entschuldet hatte.
Heute, nach einem Jahr
Covid-Pandemie, wird das Maastricht-Kriterium einer Obergrenze von 60% für die
Schuldenstandquote vor allem in Lateineuropa krass verfehlt. Wie können die
hochverschuldeten EU-Staaten von ihren Covid-Schulden runterkommen? Und: Macht
das überhaupt Sinn bei den derzeitigen Zins- „Kosten“, die nahe oder
gelegentlich unter null liegen?
Schuldendynamik
Staatsschulden in Prozent
des BIP sinken nur, wenn das nominale BIP-Wachstum die Zinsen übersteigt und
nicht vom zinsbereinigten Haushaltsdefizit (Primärdefizit) kompensiert wird. Im
(ersten) Covid-Jahr 2020 schnellte die Staatsschuldenquote trotz massiver
EU-Unterstützung besonders in Lateineuropa hoch, das unter dem Ausfall des
Tourismus zusätzlich gelitten hat.
Der Kauf von
Staatsanleihen durch die EZB und die nationalen Zentralbanken ist im Großen und
Ganzen also gleichbedeutend mit einem Schuldenerlass für den Staat
2020 war das Verhältnis
von Wachstum zu Zinsen aufgrund der Covid-Rezession natürlich denkbar
ungünstig. Doch wenn sich die Euro-Staaten im laufenden Jahr konjunkturell
erholen, wird sich dieses Verhältnis umkehren. Zum einen sind die Marktzinsen
derzeit noch negativ oder sehr niedrig, zum anderen müssen die Regierungen de
facto keine Zinsen mehr für ihre ausstehenden, vom Eurosystem gehaltenen
Anleihen zahlen: Der Staat zahlt Zinsen an die Zentralbank, die nun die
Anleihen hält, aber die Zentralbank gibt diese Zinseinnahmen in der Regel an
den Staat zurück. Der Kauf von Staatsanleihen durch die EZB und die nationalen
Zentralbanken ist im Großen und Ganzen also gleichbedeutend mit einem Schuldenerlass für den Staat.
Schuldenerlass
Unter der Führung Thomas
Pikettys haben über 100 Ökonomen einen Schuldenerlass vorgeschlagen. Sie argumentieren, dass
dieser es den Regierungen ermöglicht, unbelastet von alten Schulden neue
Schulden zur Finanzierung großer Projekte zu begeben. Dabei beziehen sich die
Unterzeichner auch auf das Londoner Schuldenabkommen von 1953, einem radikalen
Plan zur Streichung der Hälfte der deutschen Auslandsschulden und zur Schaffung
großzügiger Rückzahlungsbedingungen für die verbleibenden Schulden. Das
Abkommen kurbelte Deutschlands Wirtschaftswachstum an, indem es
fiskalischen Spielraum für öffentliche Investitionen schuf, die Kosten der
Kreditaufnahme senkte und die Inflation stabilisierte.
Allerdings ist die
Vorstellung, dass ein selektiver Ausfall der von der EZB gehaltenen Schulden
ohne Folgen bliebe, unrealistisch. Eine solche Entscheidung hätte zumindest den
Effekt, dass der heute von der EZB angebotene Schirm geschlossen würde und die
Kosten für eine erneute Verschuldung oder Refinanzierung der verbleibenden
Schulden steigen würden. Ein auf einzelne Länder begrenzter Schuldenerlass
schließt sich auch wegen der unmittelbaren Ansteckungseffekte aus. Schließlich
wäre der Nutzen einer Repudiation aus rein buchhalterischer Sicht kurzfristig gleich
null: Die von der EZB zurückgekauften Schulden wurden nämlich von den
Zentralbanken des Eurosystems erworben, die die ihr zufließenden Einnahmen an
ihre Finanzminister weiterverleihen.
Inflation
Solange die EZB am
Inflationsziel von 2% festhält (und keine mittelfristigen Überschreitungen
zulässt), muss sie bei Verfehlung des Ziels das Basisgeld M0 reduzieren. Die
EZB verkauft entweder Staatsanleihen oder eigene verzinsliche Anleihen und
nimmt damit die Seigniorage zurück, die sie der Regierung beim Kauf der
Anleihen gewährt hat.
Anders sähe es aus, wenn
die EZB in Zukunft mehr Inflation zuließe, also nicht gegensteuert, wenn die
Inflation über 2% liegt. Dann müsste sie die Anleihen nicht verkaufen (oder
ihre eigenen Anleihen ausgeben). In diesem Fall würde die höhere Inflation den
realen Wert der Staatsschulden reduzieren, die nicht in der Bilanz der
Zentralbank stehen und die in den letzten Jahren zu sehr niedrigen Zinsen
ausgegeben wurden. Die Regierungen würden zunächst gewinnen, während die privaten
Anleihegläubiger die höhere Inflation „bezahlen“ müssten. Die nominalen
Zinssätze würden steigen, wodurch der Preis der langfristigen Staatsanleihen
sinken würde, die diese Investoren zu negativen oder Null-Zinssätzen gekauft
haben. Der inflationäre Überraschungsverlust würde in der Folge die staatliche
Anleihefinanzierung erschweren und verteuern. Zudem könnten die Steuereinnahmen
bei hoher Inflation infolge des sogenannten Tanzi-Effekts real
sinken.
Finanzielle Repression
Wie sich Staaten mittels
finanzieller Repression ihrer Schuldenlasten entledigen konnten, hat Carmen
Reinhart mit Bélen Sbrancia in einer vielbeachteten Studie dargestellt.
Finanzielle Repression reduziert, gleichsam einer Steuer auf Anleihegläubiger
und Sparer durch negative oder unter dem Markt liegende Realzinsen, die
Staatsschulden. Sie ist bei der Liquidierung von Schulden am erfolgreichsten,
wenn sie von moderater Inflation begleitet wird.
Das
Zins-Wachstums-Differential ist die Black Box der Schuldendynamik
Nach dem Zweiten
Weltkrieg schufen Kapitalverkehrskontrollen und regulatorische Beschränkungen
Zwangsabnehmer für Staatsschulden und begrenzten die Erosion der Steuerbasis.
Von 1945 bis 1980 waren die Zinsen in den fortgeschrittenen Ländern etwa in der
Hälfte der Jahre negativ – die Sparer zahlten also drauf, wenn sie dem Staat
Geld liehen. Großbritannien und die Vereinigten Staaten liquidierten dadurch im
Durchschnitt jährlich Schulden von 3 bis 4% des BIP. In Australien und Italien,
wo die Inflation besonders hoch war, lagen die Liquidationsraten
durchschnittlich höher als 5%. Die durchschnittlichen jährlichen Einsparungen
bei den Zinsausgaben für eine Stichprobe von zwölf Ländern reichen von etwa 1 %
bis 5 % des BIP für den gesamten Zeitraum 1945-80.
Der fiskalische Ertrag
einer finanziellen Repression wird allerdings heute in der Eurozone geringer
ausfallen als damals. Selbst Griechenland konnte noch vor einigen Wochen einen
achtfach überzeichneten zehnjährigen Staatsbonds zu 0,8% an die
Investoren verkaufen. Hinzu kommt, dass 80% der griechischen
Staatsschulden bei öffentlichen Gläubigern wie dem Euro-Stabilitätsfonds ESM
liegen. Im Rahmen des Pandemie-Notkaufprogramms (PEPP) kauft die EZB auch
griechische Staatsanleihen, trotz der Einstufung der Papiere als
Non-Investment-Grade.
Austerität
Die Schlüsseldeterminante
für die zukünftige Schuldenstabilität ist das Verhältnis von Zinsen zu
Wachstum, konkreter gesagt die durchschnittlichen Kosten der Verschuldung
abzüglich des Wachstums des nominalen BIP. Dieses Zins-Wachstums-Differential
ist die Black Box der Schuldendynamik: Staaten, in denen das
nominale BIP mit einer Rate wächst, die mit den durchschnittlichen Kosten der
Verschuldung identisch ist, können die Verschuldung im Verhältnis zum BIP
stabilisieren, indem sie einen ausgeglichenen Primärhaushalt führen. Staaten,
deren BIP in nominaler Landeswährung schneller wächst als die
durchschnittlichen Kosten der Verschuldung, können die Verschuldung
stabilisieren, indem sie ein primäres Haushaltsdefizit aufweisen (die Größe
dieses schuldenstabilisierenden Primärsaldos oder DSPB wird
durch die Höhe der Verschuldung im Verhältnis zum BIP im Vorjahr und die
Differenz von Zins und Wachstum bestimmt). Im Gegensatz dazu müssen Staaten,
die mehr auf ihre Schulden zahlen als das nominale BIP wächst,
Primärüberschüsse erzielen, um die Verschuldung im Verhältnis zum BIP zu
stabilisieren.
Mithilfe einer
historischen Datenbank zu den durchschnittlichen effektiven staatlichen
Kreditkosten für 55 Länder über einen Zeitraum von bis zu 200 Jahren haben
Paolo Mauro und Jing Zhou in einer IWF-Studie dokumentiert, dass negative
Zins-Wachstums-Differentiale sowohl in fortgeschrittenen als auch in
aufstrebenden Volkswirtschaften häufiger auftraten und oft über lange
historische Zeiträume hinweg bestehen. In solchen Perioden erodiert die Schuldenquote
mit vergleichsweise geringer Fiskaldisziplin.
Beim IWF darf man solch
ein Resultat nicht einfach stehen lassen. Mauro und Zhou verweisen gleichzeitig
auf den geringen Informationsgehalt von durchschnittlichen Zinskosten: Die
Ausfallhistorie von Staaten zeige, dass nach längeren Perioden niedriger
Differenzen auf Basis der durchschnittlichen effektiven Zinssätze die
marginalen Kreditkosten plötzlich und stark ansteigen und Länder kurzfristig
von den Finanzmärkten ausgeschlossen werden können. Und selbst wenn die
Zinssätze recht niedrig sind, bedeute dies nicht, dass es in dynamisch
effizienten Ländern ein fiskalisches Free Lunch gibt, wie der
bei „Fiskalfalken“ derzeit vielbeachtete Ricardo Reis argumentiert. Das Etikett „Dynamische Effizienz” trifft auf
Deutschland allerdings nicht zu, da die Bundesrepublik zu Lasten
heutiger Generationen zu viel spart und hohe Leistungsbilanzüberschüsse
produziert.
Das
Maastricht-Kriterium hat nach der Covid-Pandemie jegliche Glaubwürdigkeit und
damit Bindung verloren
Die folgende Tabelle
vermittelt einen Eindruck über den Umfang der Aufgabe: Die
„Schuldenquotenstabile primäre Haushaltsposition“ (DSPB) gibt die Berechnungen der Ratingagentur S&P für den
notwendigen Primärhaushalt der Länder wieder, um einen weiteren Anstieg der
jeweiligen Schuldenquoten bis 2023 zu vermeiden.* In Belgien, Frankreich,
Italien und Spanien müsste sich der Primärsaldo im Vergleich zum Negativsaldo
des Jahres 2020 um mehr als 10 Prozentpunkte des BIP erhöhen, um so den
Haushalt zu konsolidieren. Der zinsbereinigte Primärhaushalt wird vom
Negativsaldo des Jahres 2020 spätestens nach dem Ende der Pandemie wieder
runterkommen müssen. Das geht im Prinzip nur über Erhöhung der Steuererträge
oder Ausgabenkürzungen, wobei eine Erhöhung der Steuersätze fiskalisch ebenso
kontraproduktiv wirken kann wie Ausgabenkürzungen wachstumspolitisch schaden,
auch wenn der Wiederaufbaufonds der EU, der erstmals über gemeinsame
europäische Anleihen finanziert wird, einige Härten abfedern wird.
Das Manko solcher
Berechnungen der Schuldendynamik ist unter anderem, dass eine höhere
Schuldenquote einen geringeren Primärüberschuss erfordert; daher käme
Griechenland laut S&P mit weniger Austerität hin. Die letzte Spalte zeigt
daher meine Berechnungen, wieviel Jahre es bei den von S&P projizierten
Zinsdifferenzen zum Wachstum brauchen würde, die Staatsschulden wieder unter
das Maastricht-Kriterium von 60% zu zwängen. In einigen Fällen bräuchte es
mehrere Generationen.
Parameter der
Schuldendynamik in einigen EU-Staaten (2020)
LAND |
SCHULDENQUOTE (IN %
DES BIP) |
PRIMÄR-HAUSHALT (IN
% DES BIP) |
DSPB* 2023 |
JAHRE BIS
MAASTRICHT** |
Griechenland |
205.6 |
-7.1 |
-0.3 |
30 |
Italien |
155.8 |
-7.6 |
6.2 |
96 |
Portugal |
143.2 |
-4.2 |
0.9 |
32 |
Spanien |
117.1 |
-9.9 |
6.5 |
22 |
Frankreich |
113.9 |
-8.5 |
5.6 |
24 |
Belgien |
113.8 |
-8.8 |
7.4 |
53 |
Median Eurozone |
86.1 |
-6.7 |
4.6 |
13 |
Memo: Deutschland |
66.6 |
-5.6 |
4.0 |
4 |
*Schuldenquotenstabile primäre Haushaltsposition
(DSPB) bis 2023. R=(D/Y)/0.6. **„Jahre bis Maastricht“ berechnet aus J=-(ln
R/(g-i,%)).
Quellen: eigene Berechnungen; S&P
Global (2021), Sizing
Sovereign Debt and the Great Fiscal Unwind
Wegen vieler
Unsicherheiten sind präzise Zahlen hier weniger wichtig als die Botschaft: Das
Maastricht-Kriterium hat nach der Covid-Pandemie aus meiner Sicht jegliche
Glaubwürdigkeit und damit Bindung verloren.
Ewige Schulden
Unter anderem haben George Soros oder Guy Verhoefstadt jüngst die Ausgabe ewiger
Anleihen, auch Konsols oder Perpetuals genannt,
gefordert. Diese haben eine unendliche Laufzeit und zahlen einen jährlichen
Kupon. Ihr Kapital wird nie zurückgezahlt. Das Hauptargument für die Ausgabe
unbefristeter Anleihen ist, dass die EU das Niedrigzinsumfeld nutzen sollte, um
niedrige Zinssätze durch Anleihen mit unendlicher Laufzeit zu sichern.
Unbefristete Anleihen unterliegen auch keinem Refinanzierungsrisiko, da sie nie
prolongiert werden müssen.
Wären ewige Anleihen eine
kostengünstige Endlager-Lösung? Angesichts der heute sehr niedrigen Renditen
mag es sich für Emittenten lohnen, sich langfristig zu günstigen Konditionen zu
verschulden. Finanzmathematiker sind aber eher unbeeindruckt. Bei einer
positiven Rendite ist eine ewige Anleihe eine vergleichsweise teure
Finanzierungsquelle im Vergleich zur Ausgabe von zehnjährigen Anleihen, die derzeit
zu Zinssätzen unter 0% gehandelt werden. Die Rendite ist der durchschnittliche
Zinssatz über alle Kuponlaufzeiten, gewichtet mit dem Barwert jedes Zinskupons.
Es ist aber schwierig, diese Berechnung für eine ewige Anleihe durchzuführen,
da wir die Zinssätze nicht bis zur unendlichen Laufzeit beobachten können. Die
Renditekurve der EZB hört bei 30 Jahren auf, weil es nur wenige Anleihen mit
einer Laufzeit von mehr als 30 Jahren gibt.
Zinsertragskurve der
Staatsanleihen des Eurosystems
Quelle: EZB
Die gut bewertete
Republik Österreich (S&P-Rating: AA+) ist Vorreiter in Euroland für
Staatsanleihen mit extrem langer Laufzeit. Sie hat im Jahr 2017 eine 100jährige
Anleihe mit einem Kupon von 2,1% begeben und diese auf sechs Milliarden Euro im
Jahr 2019 aufgestockt. Derzeit ist die Rendite knapp unter einem Prozent.
Die 51-jährige Anleihe mit einem Kupon von 0.5% des
weniger gut bewerteten Frankreich (S&P: AA) rentiert derzeit ähnlich hoch.
Die Frage ist vor allem, wer in solche Langläufer investieren will, wenn am langen
Ende die Renditen steigen.
Es gibt keine
eierlegende Wollmilchsau, sondern jedwede Variante wird Gewinner und Verlierer
hervorbringen, ob das nun die Regierungen, ihre Steuerzahler oder
Anleihegläubiger sind
Derzeit gibt es eine hohe
Nachfrage nach diesen Anleihen mit ultralanger Laufzeit, ihre Monetisierung
durch das Eurosystem ist also nicht notwendig. Warum? Institutionelle
Investoren oder Stiftungsfonds verwenden Langläufer für gewöhnlich, um die Laufzeit ihrer Anleihenportfolios zu verlängern. Die
Beimischung auf ihrer Aktivseite hilft ihnen, die Fälligkeitsstruktur ihrer
Verpflichtungen (Passiva) zu reflektieren. Österreich gilt wie viele andere
Industrieländer auch als risikoarm, so dass Anleger mit einer Investition in
die 100jährige Anleihe zumindest eine langfristige positive Rendite erzielen –
viele Staatsanleihen mit kürzerer Laufzeit in Europa weisen dagegen derzeit
eine negative Rendite auf. Anleihen mit ultralanger Dauer profitieren
auch von „positiver Konvexität”: Wenn Investoren langlaufende Anleihen mit
niedrigen Kupons (niedrigen Auszahlungen) besitzen, steigt ihr Kaufpreis
stärker, wenn die Renditen fallen. Wenn die Renditen dagegen steigen,
profitieren Investoren von einer impliziten Asymmetrie hochkonvexer Anleihen.
Bei einer Anleihe mit hoher Konvexität fällt der Preis nämlich weniger, wenn
die Renditen steigen, als er steigt, wenn die Renditen sinken.
Jede Variante hat
Gewinner und Verlierer
Und die Moral von der
Geschicht´? Die Vielzahl historischer Beispiele der Schuldenkonsolidierung
informieren uns heute über verschiedene Optionen: mit und ohne Austerität, mit
und ohne (faktischen) Schuldenschnitt, mit und ohne finanzielle Repression. Und
natürlich sind auch Kombinationen verschiedener Varianten möglich, was es der
Politik erlaubt, die Strategie der Konsolidierung oder Entsorgung hoher
Pandemieschulden mit mehreren Instrumenten zu verfolgen.
Dabei sollte auch klar
geworden sein: Es gibt keine eierlegende Wollmilchsau, sondern jedwede Variante
wird Gewinner und Verlierer hervorbringen, ob das nun die Regierungen, ihre
Steuerzahler oder Anleihegläubiger sind. Wer genau wann wie viel gewinnt oder
verliert, muss letztlich im demokratischen Prozess entschieden werden. Denn die
Auswahl und Gewichtung dieser Optionen obliegt weder Ökonomen noch
Journalisten, sondern Parlamenten, Regierungen und deren Wählern, die möglichst
gut über die Konsequenzen dieser Entscheidungen informiert werden sollten.
Zum Autor:
Helmut Reisen war bis 2012 Forschungsdirektor am
Development Centre der OECD in Paris. Seitdem betreibt er die Blogs ShiftingWealth und Weltneuvermessung.
Auf Twitter: @HrReisen
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