Sunday, 7 March 2021

Wie sich die Corona-Schulden entsorgen lassen

 Publiziert in MakronomMagazin, 4. März 2021 

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Wie andere Pandemien vor ihr wird auch die derzeitige Corona-Pandemie irgendwann enden – entweder „medizinisch“ oder „sozial“. Das medizinische Ende tritt ein, wenn die Zahl der Erkrankten stark zurück geht. Das soziale Ende findet vor allem in den Köpfen der Menschen statt. Es tritt ein, wenn die Angst vor der Krankheit abnimmt, die Menschen die Einschränkungen nicht mehr hinnehmen wollen – und lernen, mit der Krankheit zu leben.

Wann dies der Fall sein wird, ist jedoch bisher nicht absehbar. Gleiches gilt auch für den wirtschaftspolitischen Kurs, der sich mit den Nachwehen der Krise beschäftigen werden muss. In Deutschland ist der öffentliche Streit um die Corona-Pandemie seit geraumer Zeit sehr vergiftet, und dies gilt zunehmend leider auch für die wirtschaftspolitischen Debatten. So scheinen inzwischen offenbar auch Invektiven mit Angriffen ad hominem in der vorgeblich seriösen Tagespresse in Bezug auf die Finanzierung der Pandemie-Maßnahmen akzeptabel zu sein. Dieser Beitrag soll helfen, in der Debatte einen kühlen Kopf zu bewahren, indem die verschiedenen Optionen zum Umgang mit den Staatsschulden aufgezeigt werden.

Historische Lehren

Die sozialen und wirtschaftlichen Folgen des Virus, und in der Folge die staatliche Unterstützung, wirkten gleichsam als exogener Schock auf die Staatsverschuldung. Die Pandemie wird hohe Staatsschulden hinterlassen, dafür gibt es auch historische Hinweise. Die letzten 100 Jahre haben uns genug Anschauungsmaterial geliefert, wie hochverschuldete Staaten auf einen Schuldenabbaupfad zurückfinden könnten.

Auch die Weltwirtschaftskrise 1929-33, die Weltkriege des 20. Jahrhunderts sowie die Weltfinanzkrise der Jahre 2007-09 waren exogene Schocks, in deren Folge es hohe Staatschuldenquoten in den fortgeschrittenen Ländern gab. Der monetäre Volcker-Schock der US-Notenbank Federal Reserve blähte in den 1980ern via Dollar, Rohstoffpreisen und Zinsen die Staatsschulden der Schwellenländer auf. Hohe Staatsschulden waren dort auch endogener Natur, etwa die Folge bilanzieller Währungsinkongruenzen oder verlustreicher Staatsunternehmen.

Drei bemerkenswerte Perioden öffentlicher Entschuldung lassen sich laut Eichengreen et al. in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg und in der Zeit vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zum Beginn der 1970er Jahre erkennen. Der Mittelwert der Staatsschulden erreichte oft etwa 150% des BIP, bevor er auf einen Wert von rund 40% gesenkt wurde. Was waren die Haupttreiber dieser Erosion?

  • Die erwähnte Studie von Eichengreen et al. beschreibt drei erfolgreiche Episoden der Schuldenkonsolidierung vor dem Ersten Weltkrieg: Großbritannien nach den Napoleonischen Kriegen, die Vereinigten Staaten im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts und Frankreich in den Jahrzehnten vor 1913. Die Napoleonischen Kriege, der Deutsch-Französische Krieg und der US-Bürgerkrieg waren die drei teuersten militärischen Konflikte des 19. Jahrhunderts, mit der Folge schuldenfinanzierter Kriegsausgaben. Die Entschuldung nach diesen Kriegen vollzog sich angesichts positiver Zins-Wachstumsdifferenzen (die Zinsen waren höher als das Wachstum) in allen drei Staaten vornehmlich durch Primärüberschüsse.
  • Nach dem Zweiten Weltkrieg fielen die Schuldenquoten in den entwickelten Volkswirtschaften rapide ab. Sie erreichten in den 1960er Jahren das Niveau aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Die Ursache hierfür waren in erster Linie jedoch nicht Budgetüberschüsse, sondern die rapide Expansion des nominalen BIP. Der Boom der Nachkriegszeit hatte verschiedene Etiketten: Erhards „Wirtschaftswunderjahre“ in Deutschland, „Les Trente Glorieuses“ in Frankreich, „Il Boom Economico“ in Italien. Im Falle Deutschlands drückten auch die Schuldenerlasse von 1948 und 1953 durch die alliierten Siegermächte die Schuldenquote.
  • Zum Ende des 20. Jahrhunderts reduzierten sich die Staatsschuldenquoten in den ärmsten Ländern rapide und blieben zunächst auf recht niedrigem Niveau. Wesentliche Ursache: die HIPC-Initiative der Bretton-Woods-Schwestern von 1996 zu Gunsten von meist afrikanischer Niedrigeinkommensländern. Diese hatten nicht vom Brady-Plan von 1989 profitiert, der vornehmlich lateinamerikanische Schwellenländer entschuldet hatte.

Heute, nach einem Jahr Covid-Pandemie, wird das Maastricht-Kriterium einer Obergrenze von 60% für die Schuldenstandquote vor allem in Lateineuropa krass verfehlt. Wie können die hochverschuldeten EU-Staaten von ihren Covid-Schulden runterkommen? Und: Macht das überhaupt Sinn bei den derzeitigen Zins- „Kosten“, die nahe oder gelegentlich unter null liegen?

Schuldendynamik

Staatsschulden in Prozent des BIP sinken nur, wenn das nominale BIP-Wachstum die Zinsen übersteigt und nicht vom zinsbereinigten Haushaltsdefizit (Primärdefizit) kompensiert wird. Im (ersten) Covid-Jahr 2020 schnellte die Staatsschuldenquote trotz massiver EU-Unterstützung besonders in Lateineuropa hoch, das unter dem Ausfall des Tourismus zusätzlich gelitten hat.

Der Kauf von Staatsanleihen durch die EZB und die nationalen Zentralbanken ist im Großen und Ganzen also gleichbedeutend mit einem Schuldenerlass für den Staat

2020 war das Verhältnis von Wachstum zu Zinsen aufgrund der Covid-Rezession natürlich denkbar ungünstig. Doch wenn sich die Euro-Staaten im laufenden Jahr konjunkturell erholen, wird sich dieses Verhältnis umkehren. Zum einen sind die Marktzinsen derzeit noch negativ oder sehr niedrig, zum anderen müssen die Regierungen de facto keine Zinsen mehr für ihre ausstehenden, vom Eurosystem gehaltenen Anleihen zahlen: Der Staat zahlt Zinsen an die Zentralbank, die nun die Anleihen hält, aber die Zentralbank gibt diese Zinseinnahmen in der Regel an den Staat zurück. Der Kauf von Staatsanleihen durch die EZB und die nationalen Zentralbanken ist im Großen und Ganzen also gleichbedeutend mit einem Schuldenerlass für den Staat.

Schuldenerlass

Unter der Führung Thomas Pikettys haben über 100 Ökonomen einen Schuldenerlass vorgeschlagen. Sie argumentieren, dass dieser es den Regierungen ermöglicht, unbelastet von alten Schulden neue Schulden zur Finanzierung großer Projekte zu begeben. Dabei beziehen sich die Unterzeichner auch auf das Londoner Schuldenabkommen von 1953, einem radikalen Plan zur Streichung der Hälfte der deutschen Auslandsschulden und zur Schaffung großzügiger Rückzahlungsbedingungen für die verbleibenden Schulden. Das Abkommen kurbelte Deutschlands Wirtschaftswachstum an, indem es fiskalischen Spielraum für öffentliche Investitionen schuf, die Kosten der Kreditaufnahme senkte und die Inflation stabilisierte.

Allerdings ist die Vorstellung, dass ein selektiver Ausfall der von der EZB gehaltenen Schulden ohne Folgen bliebe, unrealistisch. Eine solche Entscheidung hätte zumindest den Effekt, dass der heute von der EZB angebotene Schirm geschlossen würde und die Kosten für eine erneute Verschuldung oder Refinanzierung der verbleibenden Schulden steigen würden. Ein auf einzelne Länder begrenzter Schuldenerlass schließt sich auch wegen der unmittelbaren Ansteckungseffekte aus. Schließlich wäre der Nutzen einer Repudiation aus rein buchhalterischer Sicht kurzfristig gleich null: Die von der EZB zurückgekauften Schulden wurden nämlich von den Zentralbanken des Eurosystems erworben, die die ihr zufließenden Einnahmen an ihre Finanzminister weiterverleihen.

Inflation

Solange die EZB am Inflationsziel von 2% festhält (und keine mittelfristigen Überschreitungen zulässt), muss sie bei Verfehlung des Ziels das Basisgeld M0 reduzieren. Die EZB verkauft entweder Staatsanleihen oder eigene verzinsliche Anleihen und nimmt damit die Seigniorage zurück, die sie der Regierung beim Kauf der Anleihen gewährt hat.

Anders sähe es aus, wenn die EZB in Zukunft mehr Inflation zuließe, also nicht gegensteuert, wenn die Inflation über 2% liegt. Dann müsste sie die Anleihen nicht verkaufen (oder ihre eigenen Anleihen ausgeben). In diesem Fall würde die höhere Inflation den realen Wert der Staatsschulden reduzieren, die nicht in der Bilanz der Zentralbank stehen und die in den letzten Jahren zu sehr niedrigen Zinsen ausgegeben wurden. Die Regierungen würden zunächst gewinnen, während die privaten Anleihegläubiger die höhere Inflation „bezahlen“ müssten. Die nominalen Zinssätze würden steigen, wodurch der Preis der langfristigen Staatsanleihen sinken würde, die diese Investoren zu negativen oder Null-Zinssätzen gekauft haben. Der inflationäre Überraschungsverlust würde in der Folge die staatliche Anleihefinanzierung erschweren und verteuern. Zudem könnten die Steuereinnahmen bei hoher Inflation infolge des sogenannten Tanzi-Effekts real sinken.

Finanzielle Repression

Wie sich Staaten mittels finanzieller Repression ihrer Schuldenlasten entledigen konnten, hat Carmen Reinhart mit Bélen Sbrancia in einer vielbeachteten Studie dargestellt. Finanzielle Repression reduziert, gleichsam einer Steuer auf Anleihegläubiger und Sparer durch negative oder unter dem Markt liegende Realzinsen, die Staatsschulden. Sie ist bei der Liquidierung von Schulden am erfolgreichsten, wenn sie von moderater Inflation begleitet wird.

Das Zins-Wachstums-Differential ist die Black Box der Schuldendynamik

Nach dem Zweiten Weltkrieg schufen Kapitalverkehrskontrollen und regulatorische Beschränkungen Zwangsabnehmer für Staatsschulden und begrenzten die Erosion der Steuerbasis. Von 1945 bis 1980 waren die Zinsen in den fortgeschrittenen Ländern etwa in der Hälfte der Jahre negativ – die Sparer zahlten also drauf, wenn sie dem Staat Geld liehen. Großbritannien und die Vereinigten Staaten liquidierten dadurch im Durchschnitt jährlich Schulden von 3 bis 4% des BIP. In Australien und Italien, wo die Inflation besonders hoch war, lagen die Liquidationsraten durchschnittlich höher als 5%. Die durchschnittlichen jährlichen Einsparungen bei den Zinsausgaben für eine Stichprobe von zwölf Ländern reichen von etwa 1 % bis 5 % des BIP für den gesamten Zeitraum 1945-80.

Der fiskalische Ertrag einer finanziellen Repression wird allerdings heute in der Eurozone geringer ausfallen als damals. Selbst Griechenland konnte noch vor einigen Wochen einen achtfach überzeichneten zehnjährigen Staatsbonds zu 0,8% an die Investoren verkaufen. Hinzu kommt, dass 80% der griechischen Staatsschulden bei öffentlichen Gläubigern wie dem Euro-Stabilitätsfonds ESM liegen. Im Rahmen des Pandemie-Notkaufprogramms (PEPP) kauft die EZB auch griechische Staatsanleihen, trotz der Einstufung der Papiere als Non-Investment-Grade.

Austerität

Die Schlüsseldeterminante für die zukünftige Schuldenstabilität ist das Verhältnis von Zinsen zu Wachstum, konkreter gesagt die durchschnittlichen Kosten der Verschuldung abzüglich des Wachstums des nominalen BIP. Dieses Zins-Wachstums-Differential ist die Black Box der Schuldendynamik: Staaten, in denen das nominale BIP mit einer Rate wächst, die mit den durchschnittlichen Kosten der Verschuldung identisch ist, können die Verschuldung im Verhältnis zum BIP stabilisieren, indem sie einen ausgeglichenen Primärhaushalt führen. Staaten, deren BIP in nominaler Landeswährung schneller wächst als die durchschnittlichen Kosten der Verschuldung, können die Verschuldung stabilisieren, indem sie ein primäres Haushaltsdefizit aufweisen (die Größe dieses schuldenstabilisierenden Primärsaldos oder DSPB wird durch die Höhe der Verschuldung im Verhältnis zum BIP im Vorjahr und die Differenz von Zins und Wachstum bestimmt). Im Gegensatz dazu müssen Staaten, die mehr auf ihre Schulden zahlen als das nominale BIP wächst, Primärüberschüsse erzielen, um die Verschuldung im Verhältnis zum BIP zu stabilisieren.

Mithilfe einer historischen Datenbank zu den durchschnittlichen effektiven staatlichen Kreditkosten für 55 Länder über einen Zeitraum von bis zu 200 Jahren haben Paolo Mauro und Jing Zhou in einer IWF-Studie dokumentiert, dass negative Zins-Wachstums-Differentiale sowohl in fortgeschrittenen als auch in aufstrebenden Volkswirtschaften häufiger auftraten und oft über lange historische Zeiträume hinweg bestehen. In solchen Perioden erodiert die Schuldenquote mit vergleichsweise geringer Fiskaldisziplin.

Beim IWF darf man solch ein Resultat nicht einfach stehen lassen. Mauro und Zhou verweisen gleichzeitig auf den geringen Informationsgehalt von durchschnittlichen Zinskosten: Die Ausfallhistorie von Staaten zeige, dass nach längeren Perioden niedriger Differenzen auf Basis der durchschnittlichen effektiven Zinssätze die marginalen Kreditkosten plötzlich und stark ansteigen und Länder kurzfristig von den Finanzmärkten ausgeschlossen werden können.  Und selbst wenn die Zinssätze recht niedrig sind, bedeute dies nicht, dass es in dynamisch effizienten Ländern ein fiskalisches Free Lunch gibt, wie der bei „Fiskalfalken“ derzeit vielbeachtete Ricardo Reis argumentiert. Das Etikett „Dynamische Effizienz” trifft auf Deutschland allerdings nicht zu, da die Bundesrepublik zu Lasten heutiger Generationen zu viel spart und hohe Leistungsbilanzüberschüsse produziert.

Das Maastricht-Kriterium hat nach der Covid-Pandemie jegliche Glaubwürdigkeit und damit Bindung verloren

Die folgende Tabelle vermittelt einen Eindruck über den Umfang der Aufgabe: Die „Schuldenquotenstabile primäre Haushaltsposition“ (DSPB) gibt die Berechnungen der Ratingagentur S&P für den notwendigen Primärhaushalt der Länder wieder, um einen weiteren Anstieg der jeweiligen Schuldenquoten bis 2023 zu vermeiden.* In Belgien, Frankreich, Italien und Spanien müsste sich der Primärsaldo im Vergleich zum Negativsaldo des Jahres 2020 um mehr als 10 Prozentpunkte des BIP erhöhen, um so den Haushalt zu konsolidieren. Der zinsbereinigte Primärhaushalt wird vom Negativsaldo des Jahres 2020 spätestens nach dem Ende der Pandemie wieder runterkommen müssen. Das geht im Prinzip nur über Erhöhung der Steuererträge oder Ausgabenkürzungen, wobei eine Erhöhung der Steuersätze fiskalisch ebenso kontraproduktiv wirken kann wie Ausgabenkürzungen wachstumspolitisch schaden, auch wenn der Wiederaufbaufonds der EU, der erstmals über gemeinsame europäische Anleihen finanziert wird, einige Härten abfedern wird.

Das Manko solcher Berechnungen der Schuldendynamik ist unter anderem, dass eine höhere Schuldenquote einen geringeren Primärüberschuss erfordert; daher käme Griechenland laut S&P mit weniger Austerität hin. Die letzte Spalte zeigt daher meine Berechnungen, wieviel Jahre es bei den von S&P projizierten Zinsdifferenzen zum Wachstum brauchen würde, die Staatsschulden wieder unter das Maastricht-Kriterium von 60% zu zwängen. In einigen Fällen bräuchte es mehrere Generationen.

Parameter der Schuldendynamik in einigen EU-Staaten (2020)

LAND

SCHULDENQUOTE (IN % DES BIP)

PRIMÄR-HAUSHALT (IN % DES BIP)

DSPB* 2023

JAHRE BIS MAASTRICHT**

Griechenland

205.6

-7.1

-0.3

30

Italien

155.8

-7.6

6.2

96

Portugal

143.2

-4.2

0.9

32

Spanien

117.1

-9.9

6.5

22

Frankreich

113.9

-8.5

5.6

24

Belgien

113.8

-8.8

7.4

53

Median Eurozone

86.1

-6.7

4.6

13

Memo: Deutschland

66.6

-5.6

4.0

4

*Schuldenquotenstabile primäre Haushaltsposition (DSPB) bis 2023. R=(D/Y)/0.6. **„Jahre bis Maastricht“ berechnet aus J=-(ln R/(g-i,%)).

Quellen: eigene Berechnungen; S&P Global (2021), Sizing Sovereign Debt and the Great Fiscal Unwind

Wegen vieler Unsicherheiten sind präzise Zahlen hier weniger wichtig als die Botschaft: Das Maastricht-Kriterium hat nach der Covid-Pandemie aus meiner Sicht jegliche Glaubwürdigkeit und damit Bindung verloren.

Ewige Schulden

Unter anderem haben George Soros oder Guy Verhoefstadt jüngst die Ausgabe ewiger Anleihen, auch Konsols oder Perpetuals genannt, gefordert. Diese haben eine unendliche Laufzeit und zahlen einen jährlichen Kupon. Ihr Kapital wird nie zurückgezahlt. Das Hauptargument für die Ausgabe unbefristeter Anleihen ist, dass die EU das Niedrigzinsumfeld nutzen sollte, um niedrige Zinssätze durch Anleihen mit unendlicher Laufzeit zu sichern. Unbefristete Anleihen unterliegen auch keinem Refinanzierungsrisiko, da sie nie prolongiert werden müssen.

Wären ewige Anleihen eine kostengünstige Endlager-Lösung? Angesichts der heute sehr niedrigen Renditen mag es sich für Emittenten lohnen, sich langfristig zu günstigen Konditionen zu verschulden. Finanzmathematiker sind aber eher unbeeindruckt. Bei einer positiven Rendite ist eine ewige Anleihe eine vergleichsweise teure Finanzierungsquelle im Vergleich zur Ausgabe von zehnjährigen Anleihen, die derzeit zu Zinssätzen unter 0% gehandelt werden. Die Rendite ist der durchschnittliche Zinssatz über alle Kuponlaufzeiten, gewichtet mit dem Barwert jedes Zinskupons. Es ist aber schwierig, diese Berechnung für eine ewige Anleihe durchzuführen, da wir die Zinssätze nicht bis zur unendlichen Laufzeit beobachten können. Die Renditekurve der EZB hört bei 30 Jahren auf, weil es nur wenige Anleihen mit einer Laufzeit von mehr als 30 Jahren gibt.

Zinsertragskurve der Staatsanleihen des Eurosystems



Quelle: EZB

Die gut bewertete Republik Österreich (S&P-Rating: AA+) ist Vorreiter in Euroland für Staatsanleihen mit extrem langer Laufzeit. Sie hat im Jahr 2017 eine 100jährige Anleihe mit einem Kupon von 2,1% begeben und diese auf sechs Milliarden Euro im Jahr 2019 aufgestockt. Derzeit ist die Rendite knapp unter einem Prozent.  Die 51-jährige Anleihe mit einem Kupon von 0.5% des weniger gut bewerteten Frankreich (S&P: AA) rentiert derzeit ähnlich hoch. Die Frage ist vor allem, wer in solche Langläufer investieren will, wenn am langen Ende die Renditen steigen.

Es gibt keine eierlegende Wollmilchsau, sondern jedwede Variante wird Gewinner und Verlierer hervorbringen, ob das nun die Regierungen, ihre Steuerzahler oder Anleihegläubiger sind

Derzeit gibt es eine hohe Nachfrage nach diesen Anleihen mit ultralanger Laufzeit, ihre Monetisierung durch das Eurosystem ist also nicht notwendig. Warum? Institutionelle Investoren oder Stiftungsfonds verwenden Langläufer für gewöhnlich, um die Laufzeit ihrer Anleihenportfolios zu verlängern. Die Beimischung auf ihrer Aktivseite hilft ihnen, die Fälligkeitsstruktur ihrer Verpflichtungen (Passiva) zu reflektieren. Österreich gilt wie viele andere Industrieländer auch als risikoarm, so dass Anleger mit einer Investition in die 100jährige Anleihe zumindest eine langfristige positive Rendite erzielen – viele Staatsanleihen mit kürzerer Laufzeit in Europa weisen dagegen derzeit eine negative Rendite auf.  Anleihen mit ultralanger Dauer profitieren auch von „positiver Konvexität”: Wenn Investoren langlaufende Anleihen mit niedrigen Kupons (niedrigen Auszahlungen) besitzen, steigt ihr Kaufpreis stärker, wenn die Renditen fallen. Wenn die Renditen dagegen steigen, profitieren Investoren von einer impliziten Asymmetrie hochkonvexer Anleihen. Bei einer Anleihe mit hoher Konvexität fällt der Preis nämlich weniger, wenn die Renditen steigen, als er steigt, wenn die Renditen sinken.

Jede Variante hat Gewinner und Verlierer

Und die Moral von der Geschicht´? Die Vielzahl historischer Beispiele der Schuldenkonsolidierung informieren uns heute über verschiedene Optionen: mit und ohne Austerität, mit und ohne (faktischen) Schuldenschnitt, mit und ohne finanzielle Repression. Und natürlich sind auch Kombinationen verschiedener Varianten möglich, was es der Politik erlaubt, die Strategie der Konsolidierung oder Entsorgung hoher Pandemieschulden mit mehreren Instrumenten zu verfolgen.

Dabei sollte auch klar geworden sein: Es gibt keine eierlegende Wollmilchsau, sondern jedwede Variante wird Gewinner und Verlierer hervorbringen, ob das nun die Regierungen, ihre Steuerzahler oder Anleihegläubiger sind. Wer genau wann wie viel gewinnt oder verliert, muss letztlich im demokratischen Prozess entschieden werden. Denn die Auswahl und Gewichtung dieser Optionen obliegt weder Ökonomen noch Journalisten, sondern Parlamenten, Regierungen und deren Wählern, die möglichst gut über die Konsequenzen dieser Entscheidungen informiert werden sollten.

 

Zum Autor:

Helmut Reisen war bis 2012 Forschungsdirektor am Development Centre der OECD in Paris. Seitdem betreibt er die Blogs ShiftingWealth und Weltneuvermessung. Auf Twitter: @HrReisen

 


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