Eigentlich wollten wir nach Berlin. Nach einem halben Jahr in Chatou wurden wir uns komisch. Da der Großraum Paris, unser Wohnsitz seit fast vierzig Jahren, in Deutschland als Risikozone eingestuft wurde, wollten wir über Italien nach Berlin einreisen. Auch dieser Plan zerschlug sich, die Flugroute Neapel-Berlin wies keine direkte Verbindung mehr auf.
Also hin und zurück nach Ischia. Statt Flugangst Virusangst? Italien so sicher wie Deutschland. FP2-Masken für den Flug. Dann Taxi vom Flughafen Capodichino zum Molo Beverollo. Mühsam bepackt auf das Traghetto, wo wir an Deck sitzen können (anstatt drinnen wie im Aliscafo). Wir werden belohnt: ein Schwarm Delphine begleitet unser Schiff Steuerbord.
Meersalz schlucken, schwimmen, das Mittagessen immer al fresco, Siesta, lesen. Doch es wurde etwas mehr als Strandurlaub total. Aus Urlaub wurde Kurlaub. Das Hotel, wo uns die Familie Panizza (Ugo, seine Frau, zwei Töchter und Vater sowie Mutter) einmal zur Spaghetti eingeladen hatte, wies noch kurzfristig ein Zimmer auf.
Im Hotel fühlt man sich älter als man eh schon ist. Viele ältere Gäste, die sich auch gerne dreimal zum Essen ins Hotel einsperren lassen, wo sie dann von livrierten Kellnern bedient werden. Das erklärt sich nicht nur mit dem hohen Komfort des Hotels, sondern auch mit seinen Anlagen wie Fango Packungen, Massagen, Kneipplauf und warmen Thermalpools. Meist sind die fetten Ärsche und Bäuche in dicke weiße Bademantel gehüllt. Hier kommen wir schnell auf FluchtGedanken, aber so leicht ist das nicht. Denn das Hotel am Strand liegt tief unten hinter den Bergen. (Allerdings fahren öffentliche Busse regelmäßig.) Nur zweimal nehmen wir Reißaus, um etwas durch die Insel zu schlendern oder zu wandern. Eine Alternative zum steifen Kurhotel wäre das Hotel Vittorio am westlichen Ende oder eine Wohnung bei der Trattoria Petrelle am östlichen Ende der Marontibucht.
Das opulente Frühstück nehmen wir stets kurz vor Toresschluss um 10:00 Uhr ein. Vorher vielleicht der schönste Moment des Tages: ausgiebig im warmen Meer schwimmen, dann Kuren und Kneippen in den Thermen. Erst abends tauchen wir noch einmal in die Fluten, nach Siesta und Etappenschluss der Tour de France.
Eine besondere Attraktion des Strandes, die wir ausgiebig einmal am Tag nutzen, sind die wunderbaren Restaurantbuden. Hier, fast 2km entlang der Holzstege aufgereiht, genießt man erstaunlich authentisches süditalienisches Essen. Immer begleitet von Wasser und unkompliziertem Weißwein, der auf Ischia angebaut wird. Und immer draußen, vor der Sonne geschützt durch Strohdächer. Immer mit sehr schönem Blick. Meist serviert durch gesprächige, intelligente Ischitaner. Besonders die Frauen wirken selbstbewusst und apart, weit entfernt vom weiblichen Klischeetyp des Berlusconi-Fernsehens.
Da die Temperaturen im September auf Ischia ideal sind und die Sonne nicht mehr gefährlich, ist alles vorhanden für ein einfaches gutes Leben. Hier braucht man sich keinen Sinn des Daseins auszuklügeln. Womöglich ist gerade in Covidzeiten ein ‚al fresco’ Leben in warmen Gefilden Europas erträglicher als im Norden, Osten oder Westen?