Der Makroökonom Prof. Tom
Krebs (Uni Mannheim) hat ein hochaktuelles Buch geschrieben. Es widmet sich der
deutschen Wirtschaftskrise, die sich seit Russlands Angriff auf die Ukraine
verschärft hat. Im Mittelpunkt steht zweierlei: das russische Gasembargo, welches besonders
die energiehungrigen Industriebranchen Chemie, Ernährung und Vorprodukte des
Fahrzeugbaus trifft (Hüther, 2022)[1];
und die ´Fehldiagnose´ einer Gruppe von neun Wirtschaftsprofessoren, welche die
Folgen eines Gasembargos auf die deutsche Wirtschaft mit Hilfe eines neuen
Makromodells verharmlosten (Bachmann et al., 2022)[2].
Das Modell ist für Laien eine Black Box, vor der die Medien und Politiker in
Ehrfurcht erstarren sollen[3].
Das neoklassische Modell spuckt aufgrund der hohen eingebauten Elastizitäten eine
geringfügige Minderung des BIP aus (zwischen 0,3 und 3%). Sekundäreffekte des
Energieschocks auf Inlation und Reallöhne werden vernachlässigt. Es ist das
Verdienst von Tom Krebs, die Schockterapie mitsamt den Ökonomen-Spuk zu
hinterfragen.
In Wahrheit aber verlor
Deutschland seit dem Ende Coronaepidemie runde vier Prozent BIP im Vergleich
zur Entwicklung ohne Energiekrise. Der direkte Effekt war besonders in den energieintensiven
Branchen Chemie und Metallerzeugung ausgeprägt. Trotz der eklatanten Fehldiagnose
hatten die „breitbeinigen“ Auftritte von Bachmann & Co medialen Erfolg in den
deutschen Medien. Agressives Marketing und selektive Wahrnehmung der Fakten
dienten der Kritikimmunisierung, auch in Folgestudien mit dem vielbelächelten
Titelintro „Not Even a Recession“.[4]
Die Ampelregierung konnte
anfängliche Erfolge gegen die Energiekrise verbuchen, so Tom Krebs, auch gerade
weil sie den russischen Gashahn entgegen der Sanktionsratschläge nicht abrupt
abstellte. Sie ging allerdings wegen der FDP zunächst nicht so weit, eine
Energiepreisbremse einzuführen. Folge: bröselnde Zustimmung für die Ampelparteien
und Wahlerfolge der AfD.
Der Autor wirft den „Marktliberalen“
vor, die Einsichten von Karl Polanyi, John M. Keynes (und Karl Marx) zu
ignorieren. Polanyi 1944 hatte die Bedeutung der Anpassungskosten im
Transformationsprozess betont, welche den gesellschaftlichen Kontext
struktureller Umbrüche berücksichtigen. Keynes hatte die erwartungsgetriebenen
Überreaktionen in Finanz-und Energiemärkten betont, die sich negativ auf die Realwirtschaft
auswirken. Preissignale verlieren dadurch ihre Wirksamkeit und können eine
Energiepreisbremse rechtfertigen.[5]
Das marktliberale Dogma
verkennt auch den Hysterese-Effekt
von Wirtschaftskrisen; diese erklärt, warum auch Ende 2024 in Deutschland immer
noch keine Erholung in Sicht ist. Der Motor der deutschen Industrie – Chemie,
Metallerzeugung, KFZ-Bau - ist nachhaltig beschädigt worden. Restriktive
Geldpolitik (gleichsam dem mittelalterlichen Aderlass) und prozyklische
Fiskalpolitik (Schuldenbremse statt Stimulanz) haben den desolaten Zustand der
deutschen Wirtschaft zusätzlich verschärft.
[1] Hüther, Michael (2022), Das Problem des subjektiven Werturteils, Wirtschaftsdienst, Heft 4.
[2] Bachmann, R., Baqaee, D., Bayer, C., Kuhn, M.,
Löschel, A., Moll, B., Peichl, A., Pittel, K., & Schularick, M. (2022). What if? The Economic Effects for Germany of a Stop of Energy
Imports from Russia. In EconPol Policy Reports, No 36. ifo Institut München.
[3] François Geerolf (2022), The “Baqaee-Farhi approach” and a russian
gas embargo, Revue de l'OFCE
2022/4 N° 17, S. 143 – 165.
[4] B. Moll, M. Schularick & G. Zachmann (2023), Not Even a
Recession: The Great German Gas Debate in Retrospect, ECONtribute: Markets
& Public Policy, Mai.
[5] Sebastian Dullien & Isabella Weber (2022), „Mit einem Gaspreisdeckel
die Inflation bekämpfen“, Wirtschaftsdienst,
Heft 3.