Sehen wir davon ab, dass der Begriff „Lockdown“ auf
Deutschland bislang in der Coronakrise nicht zutraf. Deutschland hat keinen
Lockdown, sondern Kontaktbeschränkungen und Schulschließungen. Südafrika,
Spanien, Italien und Frankreich haben noch einen wirklichen Lockdown. Raus darf
dort nur, wer einen triftigen Grund und einen Passierschein hat. Laut dem Blavatnik
School Covid Stringency Index, ein Komposit von 13 Einzelindikatoren (z.B.
Ausgangssperren, Stop öffentlicher Transporte, Schließungen von Restaurants,
Schulen und Stadien) lag in Deutschland Anfang April deutlich hinter den
Spitzenreitern der Stringenz.
Gleichwohl hat sich in Deutschland eine politische Front zwischen ´Dränglern´ und ‚Vorsichtigen´ gebildet. Der Frontmann der Drängler ist Laschet, unterstützt von der BILD, Schäuble und der Lindner-FDP. Man mag sie vergleichen mit den Händlern der Stadt Marseille vor genau drei Jahrhunderten. Die Vorsichtigen, hinter denen immer noch die Mehrheit der Deutschen steht, werden angeführt von Bundeskanzlerin Merkel, Söder aus Bayern, SPD-Lauterbach und dem Virologen Drosten. Sie geraten trotz der demoskopischen Unterstützung zunehmend in die Defensive. Denn die wirtschaftlichen Kosten wachsen überproportional mit der Dauer eines strengen Lockdowns, wird argumentiert. Der KO-Effekt langer Schliessungen im Einzelhandel, Restauration, Tourismus (Hotels) und Handwerk ist verheerend und wird die Innenstädte weiter entleeren, keine Frage. Aber ist das ökonomische Argument entscheidend, solange die Gefahr einer zweiten Infektionswelle durch frühzeitige Lockerung quantitativ nicht einzuschätzen ist?
1720 ließ Marseille ein Schiff aus dem von der Pest heimgesuchten Zypern in den Hafen einlaufen. Mächtige Händler der Stadt benötigten die Seiden- und Baumwollladung des Schiffes für den großen mittelalterlichen Jahrmarkt in Beaucaire und setzten die Behörden unter Druck, die Quarantäne aufzuheben.
Wenige Tage später brach die Krankheit in der Stadt aus. Die
Krankenhäuser waren schnell überfüllt, und die Bewohner gerieten in Panik und
vertrieben die Kranken aus ihren Häusern und aus der Stadt. Es wurden
Massengräber ausgehoben, die aber schnell gefüllt wurden. Schließlich
überwältigte die Zahl der Toten die Bemühungen der Stadt um das öffentliche
Gesundheitswesen, bis Tausende von Leichen verstreut und auf Haufen in der
Stadt lagen.
Mehr als die Hälfte der Bevölkerung von Marseille starb in
den nächsten zwei Jahren[1]…
Zu den Versuchen, die Ausbreitung der Pest zu stoppen,
gehörte ein Gesetz des Parlaments von Aix, das die Todesstrafe für jede
Verbindung zwischen Marseille und der übrigen Provence verhängte. Um diese
Trennung durchzusetzen, wurde auf dem Land eine Pestmauer (mur de la peste)
errichtet. Überreste dieser Mauer aus Trockenstein sind noch heute in
verschiedenen Teilen der Provence zu bewandern. Wer sich etwas Gutes tun will, dem empfehle ich diese Wanderung bei Cabrières-d'Avignon. Zur Zeit ist der Weg leider gesperrt...
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